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Kreisliga statt Königsklasse: Pachans Werdegang nach Schalke

Kreisliga statt Königsklasse: Pachans Werdegang nach Schalke

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Foto: Ralf Rottmann / FUNKE Foto Servi
Er war Jugendnationalspieler und trug 17 Jahre lang das Schalke-Trikot. Doch weil Pachan aussortiert wurde, spielt er jetzt in Erle in der Kreisliga.

Gelsenkirchen. 

Kuno hört nicht, als er gerufen wird, aber offenbar kann Kuno lesen. Der Dackel läuft am Eingangstor zum Fußballplatz vorbei, er ist dort solo nicht erwünscht. „Hunde bitte kurz anleinen“, steht auf einem Schild, das scheint den Leuten hier beim Erler Spielverein 08 wichtig zu sein.

Sie pflegen ihr Gelände, haben ein weißes Vereinsheim und einen Verkaufsstand für die Halbzeitbratwurst. Auch der Rasen sieht ordentlich aus, obwohl er nicht wie in der Nachbarschaft von geschulten Greenkeepern mit der Nagelschere nachgeschnitten wird. Es regnet seit Tagen, und damit das Naturgeläuf geschont wird, trainiert Kapitän Marvin Pachan mit seinen Jungs von der ersten Mannschaft auf dem Kunstrasen des Nebenplatzes.

Balljunge in der Arena

Die Sportanlage „Am Forsthaus“ an der Cranger Straße in Gelsenkirchen ist nur vier Kilometer entfernt von der Schalker Arena, diesem Raumschiff aus Stahl und Glas. Und doch liegen Galaxien dazwischen.

Marvin Pachan hat ein paar Strahler abbekommen vom Glanz des Profifußballs nebenan, jetzt aber, mit 24, bewegt er den Ball unter dem funzeligen Flutlicht in Erle. Kreisliga A.

Er war Jugendnationalspieler, ein bestens ausgebildeter Abwehrspezialist. Schon als Vierjähriger begann er bei Schalke 04, von der Pampers-Liga arbeitete er sich hoch bis zu den A-Junioren. Als er 15, 16 war, bekam er „einen Extraschub“: Als Balljunge in der Arena durfte er sein Vorbild Marcelo Bordon aus exklusiver Nähe studieren, mehr Motivation ging nicht.

Marvin Pachans Weg war vorgezeichnet, zumal er die Gesamtschule Berger Feld besuchte. Eine Schule, die mit dem Verein Doppelpass spielt: Schalkes Talente können vormittags trainieren, vorher und nachher wird unterrichtet, auch Hausaufgabenbetreuung ist organisiert, und zum Abschluss steht dann das Mannschaftstraining an. Ein straffes Programm für die Jugendlichen. „Von morgens acht bis abends acht“, erzählt Marvin Pachan.

Mit Özil in einer Klasse

Ein gewisser Mesut Özil war damals auch in seiner Klasse – beiden wurden außergewöhnliche Begabungen attestiert. Özil darf sich jetzt Weltmeister nennen, Pachan schrubbt sich bei Auswärtsspielen die Haut auf Asche auf. Parallelen heute? Nun ja, die Zwei leben auf demselben Planeten.

Bodo Menze war viele Jahre Nachwuchskoordinator auf Schalke, von Marvin Pachan schwärmt er noch immer. „Ein Junge mit tollem Charakter“, sagt er, „immer ehrgeizig und zuverlässig.“ Aber auch „ein Beispiel dafür, dass es sich lohnt, die Ausbildung nicht zu vernachlässigen für den Fall, dass es nicht klappt mit der ganz großen Karriere“.

Marvin Pachan baute sein Abitur und bereitete parallel dazu seine Fußballlaufbahn vor. Im Jahr 2009 folgte der erwartete Schritt: Er unterschrieb einen für zwei Jahre gültigen Profivertrag bei seinem Herzensklub. Dann kam Felix Magath.

Auf dem offiziellen Mannschaftsfoto für die Saison 2009/2010 stand Marvin Pachan direkt hinter dem neuen Trainer. Der ließ ihn mit Kevin Kuranyi, Manuel Neuer, Gerald Asamoah und all den anderen Stars trainieren, wies ihm manchmal auch einen Platz auf der Bundesliga-Bank zu, eingesetzt aber wurde das Schalker Eigengewächs nur in der zweiten Mannschaft. Im Winter durfte Marvin Pachan mit ins Profitrainingslager nach Spanien fliegen, anschließend gab ihm der von der Meister-Manie getriebene Magath zu verstehen, dass er ab sofort dauerhaft zur Zweiten gehöre. Marvin Pachan spielte noch eine weitere Saison für Schalke in der Regionalliga, dann lief der Vertrag aus – und das war’s. „Der Verein entschied, dass er nicht mehr mit mir verlängern wollte.“ Glück aus.

Dabei suchte Schalke doch einen Rechtsverteidiger als Nachfolger für Rafinha, „und als Junge aus Gelsenkirchen, der sein Leben lang dort gespielt hat, hat man keine Chance bekommen. Das hat mich getroffen“.

Die zuvor als Einbahnstraße ausgewiesene Route seiner Hoffnungen entpuppte sich als Sackgasse. Mit 21 musste er sich neu orientieren. Vergeblich wartete er auf Angebote von Zweit- oder Drittligisten. „Ich hatte alles für mein Ziel getan, und trotzdem hatte es nicht gereicht. Das musste ich erst verarbeiten.“ Er schloss sich dem NRW-Ligisten VfB Hüls an, mit dem er in die Regionalliga aufstieg. „Es kamen aber wieder keine Angebote, um vielleicht doch noch über Umwege ganz oben reinstoßen zu können“, erzählt er. „Also habe ich den kompletten Schnitt gemacht. Ich wollte nicht abwarten, was vielleicht noch passieren würde, ich wollte wieder Konstanz in mein Leben bringen.“

Ausbildung im Gesundheitswesen

Seine Lösung: eine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger. „Und danach entweder ein Studium oder eine Fachweiterbildung, je nachdem, wie das Examen im nächsten Herbst ausfallen wird. Mein Ziel ist eine leitende Funktion im Gesundheitswesen.“ Bis dahin muss er sich damit abfinden, dass der Kontostand geschrumpft ist: „Ich habe zwei Jahre lang gut verdient, für einen Bruchteil davon muss ich jetzt richtig ackern.“

Provokationen auf dem Platz

Weniger Geld, mehr Freiheiten. „Ich hole einiges nach, wofür ich in der Jugend kaum Zeit hatte,“, sagt er. „Zum Beispiel, sich mehr um Freundschaften zu kümmern.“ Der Fußball ist seit zweieinhalb Jahren nur noch Hobby. Mit Erle 08 kann er in die Bezirksliga aufsteigen, das reicht ihm. Als Überqualifizierter muss er sich allerdings zusammennehmen, wenn er sonntags gegnerische Stollen auf dem Spann spürt oder mit dummen Sprüchen provoziert wird, „weil ich mal Profi war“.

Gibt es Momente, in denen er es bedauert, nicht Berufsfußballer zu sein? „Nein“, versichert Marvin Pachan, „damit habe ich meinen Frieden gemacht. Und vorzuwerfen habe ich mir auch nichts.“

Er drückt Schalke zwar noch die Daumen, aber in die Arena zieht ihn nichts mehr. „Wenn ich einen Schlussstrich ziehe, dann ganz“, sagt er. „Ich habe da schließlich 17 Jahre gespielt und bin von jetzt auf gleich ohne Erklärungen fallengelassen worden.“ Der Kopf glaubt, „mit dem Thema abgeschlossen“ zu haben. Die Verletzung an der Seele aber ist noch immer nicht vernarbt.