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In Stuttgart beschwört die AfD ihre brüchige Geschlossenheit

In Stuttgart beschwört die AfD ihre brüchige Geschlossenheit

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14913C00CED7095A.jpg Foto: dpa
Auf ihrem Parteitag versucht die AfD, sich ihr erstes Programm zu geben. Tag 1 wurde von Randale gestört und von Formalien dominiert.

Stuttgart. 

Die Bühne ist blau erleuchtet, blau wie die Partei, die sich selbst zur „Alternative“ ernannt hat. Es tritt auf: Alexander Gauland, 75, vormaliger hessischer Staatskanzleichef der CDU, aktuell stellvertretender Bundesvorsitzender der AfD. Er ist für das Pathos zuständig.

Es gehe, ruft er, an diesem Wochenende „um die Zukunft der Partei, um die Zukunft Deutschlands, um die Zukunft Europas“. Die Hoffnung von Millionen Wählern richte sich auf die AfD. Die 15 Prozent bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg, die gut 12 Prozent in Rheinland-Pfalz und die mehr als 24 Prozent in Sachsen-Anhalt seien Erfolge gewesen, „die inzwischen den etablierten Parteien das Fürchten lehren. Gott sei Dank“. Dröhnender Applaus.

Parteitag der Superlative

Tatsächlich hat an diesem Samstag ein Parteitag der Superlative in Stuttgart begonnen, zumindest für eine Organisation, die gerade einmal drei Jahre existiert. Mehr als 2000 Menschen – es sind überwiegend Männer mittleren und gesetzten Alters – haben sich in der Messehalle von Stuttgart versammelt. Das sind zehn Prozent der gesamten Mitgliedschaft. Zusätzlich sitzen Hunderte sogenannte Förderer, Gäste und Journalisten im Saal.

Verhandelt wird das erste Grundsatzprogramm der AfD. Der Entwurf des Vorstandes schafft es auf 78 Seiten, dazu gibt es 1611 Seiten an Änderungsanträgen. Es ist alles dabei, was die Partei so als alternativ definiert, von der Rückabwicklung der Energiewende über die Abschaffung der Gender-Forschung bis zum Verbot von Minaretten.

Die Partei tagt wie in einer Festung. Der Platz vor dem Messegebäude, auf dem an hohen Masten Partei- und Nationalflaggen wehen, ist mit Stahlgittern und Nato-Draht abgesperrt. Überall sind Polizisten in schwerer Montur zu sehen, Wasserwerfer sind aufgefahren, ein Hubschreiber kreist über dem Gelände.

Etwa 1000 Beamte befinden sich im Einsatz. Ebenso viele Gegendemonstranten werden gezählt, viele sind jung, schwarz gekleidet und gewaltbereit und versuchen, die Zugänge zu blockieren. Auf einer nahen Bundesstraße brennen Autoreifen, eine Spur der A8 wird kurzzeitig besetzt.

Rund 500 linke Demonstranten nimmt die POlizei in Gewahrsam und lässt sie am Samstagabend in kleinen gruppen wieder frei. „Wir werden den Personenkreis aber weiter im Auge behalten“, sagt ein Polizeisprecher.

Sie sind der Grund dafür, dass der Parteitag am Morgen mit Verspätung beginnt, wobei es auch danach kaum vorwärts geht. Zwei Stunden streitet man sich über die Tagesordnung und darüber, ob nur der offizielle Entwurf die Grundlage der Debatte sein sollte. Schließlich findet sich nur eine knappe Mehrheit dafür.

Auch sonst ist sich die Partei längst nicht so einig, wie sie nach außen hin erscheinen will. Seit seinem Wahlerfolg in Baden-Württemberg ist Landeschef Jörg Meuthen, der auch als Bundesvorsitzender amtiert, deutlich gestärkt, derweil seine Co-Bundeschefin Frauke Petry zunehmend isoliert wirkt.

Das Zerwürfnis mit ihrem Pressesprecher, ein gefühliges Doppelinterview mit ihrem neuen Lebenspartner – und nordrhein-westfälischen Landeschef – Marcus Pretzell und Angriffe auf andere Vorstandsmitglieder: Dies alles hat Sympathien gekostet.

Gerade deshalb bemüht sich die Parteispitze in Stuttgart, Geschlossenheit zu präsentieren. Schon am Abend zuvor, auf dem Presseempfang, hatte Meuthen Petry mit Küsschen begrüßt und erzählt, dass all die Fehden, die ihnen „angedichtet“ würden, grober Unsinn seien.

Petry und Gauland wechseln kein Wort

Dennoch war gut zu beobachten, wer mit wem kann – und mit wem nicht. Sogar dann, wenn Petry und Gauland nur wenige Meter voneinander entfernt standen, sprachen sie nicht miteinander. Auch mit dem Thüringer Vorsitzenden Björn Höcke oder dem Sachsen-Anhalter Wahlsieger André Poggenburg suchte sie keinen Kontakt.

Am Samstagmittag, nachdem die Tagesordnung endlich beschlossen ist, versuchen die beiden Bundesvorsitzenden erneut, Geschlossenheit zu beschwören. Es gebe Meinungsverschiedenheiten, das ja, sagt Meuthen, aber die hätten mit Zerstrittenheit nichts zu tun. Einen Parteitag wie vorigen Sommer in Essen, als sich der Flügel um den früheren Bundeschef Bernd Lucke abspaltete, werde es nie wieder geben.

Petry macht, wie gewohnt, die Presse für alle Friktionen verantwortlich. Der angebliche Rechtsruck sei herbei geschrieben, ruft sie. Es gebe eine „massive Diffamierung“ der Partei und „Entmenschlichung“ ihrer Protagonisten. Sie erklärt die AfD zur einzig wirklichen Opposition. „Wir sind es aber natürlich nicht mit der Perspektive einer ewigen Opposition.“ Denn dann enttäusche man alle Wähler, die auf einen Kurswechsel warteten „und die uns vertrauen, dass wir als Partei – wenn es soweit ist – dafür den richtigen Zeitpunkt wählen“.

Höcke erscheint erst mittags

Nebenher kritisiert die Vorsitzende, ohne Namen zu nennen, jene, die als „Türöffner für medial unnötige Debatten“ herhielten. Fast flehentlich appelliert sie: „Wir brauchen Sie als loyale Mitglieder genauso wie Sie uns als loyale Repräsentanten in der Öffentlichkeit.“

Auffällig ist, dass sie der Saal nur höflich beklatscht, während Meuthen frenetisch gefeiert wird. Der Wirtschaftsprofessor gibt Publikum das, was es hören will. „Wir wollen Volkspartei sein und die Geschicke unseres Landes auf längere Sicht mitlenken“, ruft er, „weg vom linksrotgrün verseuchten 68-er Deutschland“. Er bekommt stehende Ovationen.

Spätestens jetzt muss Petry wissen, mit wem sie zu rechnen hat, wenn es im Herbst um die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl geht. Auch der Thüringer Höcke macht auf eigenwillige Art klar, dass er sich bereithält. Er erscheint erst gegen Mittag und schreitet, begleitet von Kamerateams, den Gang zur Bühne entlang. Als er sich in den Stuhlreihen zwischen die Thüringer Mitglieder niederlässt, werden unter Klatschen „Höcke“-Rufe laut.

Die nächsten Stunden vergehen im Streit darüber, ob der Landesverband Saarland aufgelöst werden sollte. Dem örtlichen Vorstand waren NPD-Kontakte nachgewiesen worden. Am Ende bestätigt eine Mehrheit die Entscheidung der Parteispitze, die noch vor dem Schiedsgericht liegt.

Die Mehrheit ist äußerst knapp. Danach kann die Programmdebatte beginnen.