Veröffentlicht inReise

Jagdspaziergang ohne zu schießen durch den Zauberwald

Jagdspaziergang ohne zu schießen durch den Zauberwald

290716wald065~ae5b6515-ccb0-4543-8b4d-32e4a9abb31d.jpg
290716wald065~ae5b6515-ccb0-4543-8b4d-32e4a9abb31d.jpg Foto: Martina von Kann
In Lüdersburg bei Lüneburg können Familien die Natur mit Führung durch einen Revierjagdmeister entdecken – inklusive Nervenkitzel.

Lüdersburg. 

Der Mann mit dem grünen Hut schreitet zur Waldlichtung. „Hier haben wir einen Tatort“, sagt er und deutet mit seinem Messer auf die Fasanfedern. Er hebt eine Feder hoch, tippt mit dem Zeigefinger auf den abgebissenen Kiel: „Das war ein Fuchs. Bei einem Greifvogel wären die Federn des Fasans zerrupft, der Kiel aber heil.“ So ein Waldspaziergang kann eine ganz schön blutrünstige Sache sein. Wenn man denn einen fachkundigen Begleiter hat. Einen Mann wie Sascha Schmitt (40), Revierjagdmeister bei der Natur- und Jagdschule Schloss Lüdersburg, rund 20 Kilometer nordöstlich von Lüneburg.

„Was wissen Sie denn so über den Wald“, fragt Schmitt, als wir in den dunkelgrünen VW Amarok steigen. Wald? Da war doch mal was im Biologieunterricht vor Jahrzehnten. Gut, zum Erkennen einer Birke reicht es noch. Aber eine Lärche? Eine Erle? Tja.

Wer Sascha Schmitt begleitet, weiß nach ein paar Minuten eines sicher: Sollte man eines Tages mal bei Günther Jauch auf dem Ratestuhl sitzen, kann es in Sachen Natur keinen besseren Telefonjoker geben als den gebürtigen Saarländer. Der Mann scheint jede der offiziell 90 Baum- und 1215 Pflanzenarten in deutschen Wäldern zu kennen. Und er kann vor allem begeistern, selbst der pubertierende Sohn, der ansonsten vornehmlich Ungeheuer in den Welten des Internets jagt, lauscht gebannt. Kurzum: Schmitt ist die Idealbesetzung für den Job des Gästeführers im neuen Programm „Natur erleben“ der Jagdschule.

Im Zauberwald leben Wildschweine und Rehe

Er zerreibt die weichen Nadeln und sagt: „Riechen Sie bitte mal.“ Der Zi­trusduft ist unverkennbar, also ist der Baum eine Douglasie, lernen wir. Wir bahnen uns den Weg über morsche Stämme. Früher, sagt Schmitt, habe der Chef einen zusammengepfiffen, wenn es im Revier nicht picobello war. Erst in den vergangenen Jahren habe man erkannt, wie wichtig Totholz sei, als Brutstätte für Käfer, als Heimat für Fledermäuse und Spechte.

Übermäßig viel Totholz ist indes nicht gut, vor allem dann, wenn das Revier vom Holzhandel lebt. Schmitt zeigt kahle Eschen am Wegesrand, dahingerafft von einem zerstörerischen Pilz aus Japan. Es ist kein Trost, dass in Europa Hunderttausende Eschen den Kampf gegen den aggressiven Eindringling verloren haben. In Lüdersburg konnte selbst ein engagierter Baumhomöopath das Eschensterben nicht stoppen.

Dann richtet Schmitt den Blick auf den Waldboden, er zeigt die Spuren einer Wildschweinrotte. Schmitt hat höchst unliebsame Erfahrungen mit dieser Spezies gemacht. Zweimal wurde er von mächtigen Keilern angegriffen, es passierte jeweils bei einer sogenannten Nachsuche. Als einer von rund 1000 Berufsjägern in Deutschland wird Schmitt immer dann gerufen, wenn in seinem Revier ein Wildschwein angeschossen oder angefahren, aber eben nicht getötet wurde. Der Einsatz ist gefährlich, da verletzte Wildschweine extrem aggressiv werden können. „Ich habe nur meinen Hunden zu verdanken, dass ich noch lebe“, sagt Schmitt. Die kämpften gegen den wütenden Keiler, der sich in Schmitts Beinen verbissen hatte.

Schmitts Kampfberichte sind nicht unbedingt die beste Einstimmung für den nun folgenden Programmteil. Der Jagdmeister öffnet das Tor zum „Zauberwald“, wie er den 200 Hektar großen Teil seines Reviers nennt. Auf der Fläche von rund 280 Fußballfeldern leben mehr Wildschweine, als Obelix in seinem gesamten Comicleben verspeisen könnte. „Bitte bei mir bleiben, dann passiert nichts“, sagt Schmitt, als wir einen 160 Kilo schweren Keiler mit mächtigen Hauern erspähen. „Der ist aber entspannt“, sagt Schmitt. Ganz im Gegensatz zu einem anderen, der im Kampf ein Auge verloren hat, ein Pro­blemwildschwein gewissermaßen. Da hält auch Schmitt Abstand. Aber selbstredend leben im Zauberwald nicht nur Wildschweine, sondern auch Rehe, ­gerade schreitet eine Ricke anmutig mit ihrem Kitz über den Weg.

In der Jagdschule kann man präparierte Wildtiere begutachten

„Jetzt habe ich für euch noch etwas ganz Besonderes“, sagt Schmitt zu den Kindern, deutet auf putzige Borsten­viecher hinter einem Extrazaun. Mit ihnen verbindet der Berufsjäger ein besonderes Erlebnis. Als er im Januar zu einem Wildunfall gerufen wurde, war die angefahrene Bache nicht mehr zu retten, Schmitt musste sie mit einem Gnadenschuss erlösen. Sieben winzige Frischlinge kauerten neben ihr, sie ihrem Schicksal zu überlassen, brachte er nichts übers Herz. Also zog er sie mit seinem Team mit der Flasche groß. Entsprechend zahm sind sie, und lassen sich sogar streicheln. Die Idee, eines der Oh-Papa-die-sind-so-süß-Schweinchen im heimischen Garten aufzuziehen, wird indes nach kurzer Familienratssitzung verworfen.

Am nächsten Morgen führt Schmitt seine Gäste durch die Jagdschule in Lüdersburg. Zumindest als präpariertes Exemplar können wir den Fuchs betrachten, im Wald hatte sich kein Exem­plar sehen lassen. Beim Abschied fällt noch einmal der Blick auf die Schweinchen im Zauberwald. Wir fragen, ob der Zaun eines Tages wieder verschwindet, Schmitt schüttelt den Kopf. Nein, die Kleinen werden abgeschirmt in einem eigenen Trakt leben.

Ausflug in die Welt der Wildtiere – ein zweitägiges Natur-Arrangement, Erwachsene 190 Euro, Kinder von 6 bis 15 Jahren 100 Euro, Kinder bis 6 Jahren 70 Euro, alle Preise ohne Übernachtung. Mehr Infos dazu gibt es unter www.jagdschule-luedersburg.de