Essen.
Unterschiedlicher können zwei Versionen eines Sachverhalts kaum sein. Laut Anklage geht es um Nötigung, Körperverletzung und Vergewaltigung. Die Aussage des Angeklagten Gianni H. indes klingt nach Spaß unter Jugendlichen und einvernehmlichem Sex.
Gianni H. ist einer von fünf jungen Männern im Alter zwischen 17 und 24 Jahren, die sich seit dem 13. Juli vor dem Essener Landgericht verantworten müssen.
Gruppenvergewaltigungen: Mädchen soll aus fahrendem Auto gesprungen sein
Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, Schülerinnen zum Sex gezwungen zu haben. Die Taten sollen sie zuvor in einem Whatsapp-Chat mit dem kryptischen Namen „Scorpions MC1%“ geplant haben. Mit einer perfiden Masche lockten sie demnach die Mädchen in ein Auto und fuhren an entlegene Orte.
Dort nahmen sie den Mädchen ihre Handys weg, drohten ihnen, sie im Wald auszusetzen und zwangen sie auch unter Gewaltandrohung zum Sex, so die Anklage.
In einem Fall soll eines der Opfer aus Angst vor den jungen Männern aus einem fahrenden Auto gesprungen sein und sich dabei verletzt haben. Um ihrer Vergewaltigung zu entgehen, soll sie den Männern eine ahnungslose Freundin vermittelt haben.
Dean Martin L. lässt sich mit seiner Aussage Zeit
Bei Gianni H. klingt das völlig anders. Er ist nach Joshua E. der Zweite aus der Gruppe, der vor Gericht aussagt. Dean Martin L., der eigentlich an der Reihe gewesen wäre, will sich mit seiner Aussage bis zur übernächsten Sitzung am 20. August Zeit lassen.
Gianni H. wirkt sicher in seinem Auftreten. Ab und zu streicht er sich mit der Hand über den Schädel, der an den Seiten nahezu kahl rasiert ist. Mit fester Stimme spricht er ins Mikrofon. Was er sagt, lässt sich im Grunde so zusammenfassen: Von Absprachen und perfiden Tricks, mit denen Mädchen zum Sex genötigt worden sein sollen, hat er nichts gewusst. Wenn es Sex gab, dann einvernehmlich. Und die Whatsapp-Gruppe habe er nur gegründet, damit man sich unter Jungs mal zum Pokern verabreden könne.
„Sie wurde vom Vater vergewaltigt, deshalb hat sie geweint“
Auch besagter Fall, bei dem ein Mädchen seine eigene Freundin an die Gruppe vermittelt haben soll, um zu entkommen, klingt bei Gianni H. ganz anders als bei der Staatsanwaltschaft. Ja, sie seien mit der Schülerin unterwegs gewesen, erzählt er.
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Einer der anderen habe sie gefragt, ob sie Geschlechtsverkehr haben wolle. Sie habe das verneint, habe geweint und sei ausgestiegen. „Später hat sie uns erzählt, dass sie mal von ihrem Vater vergewaltigt wurde. Deshalb hat sie geweint“, so H. vor Gericht.
Gianni H.: „Ich wollte mir keine Krankheit holen“
Tatsächlich habe sie den jungen Männern dann die Adresse ihrer Freundin genannt, damit sie an ihrer Stelle mitfährt – warum, wisse er nicht, das hätten zwei der anderen Angeklagten mit ihr geregelt.
Eigentlich habe er das neue Mädchen gar nicht mitnehmen wollen, er habe sie nicht anziehend gefunden. Dann habe er sich aber doch überreden lassen. Die Schülerin habe später augenscheinlich freiwillig mit den anderen aus der Gruppe Oralsex gehabt. Auch ihm habe das Mädchen Sex angeboten. Doch er habe abgelehnt. „Ich hatte Angst, dass ich mir eine Krankheit hole“, so H.
In einem weiteren Fall fuhr die Gruppe mit einem anderen Mädchen zu einem abseits gelegenen verlassenen Haus in Essen – einem „Geisterhaus“, wie H. sagt. Auch diesmal kam es zum Oralsex.
Richter hakt immer wieder nach
Der Angeklagte irritierte mit seiner Aussage, die nicht nur in vielen Punkten von der Anklage abwich, sondern auch von der Einlassung Joshua E.s am ersten Prozesstag. E. hatte die vorgeworfenen Taten zu weiten Teilen eingeräumt und sich bei den Opfern entschuldigt.
Richter Rolf Uhlenbrock insistierte immer wieder, hakte wiederholt nach: „Da ist also ein Mädchen nachts an einer abgelegenen Stelle mit mehreren Jungs: Hatten Sie nie den Eindruck, dass sie das alles vielleicht nicht ganz freiwillig getan hat, dass die Situation für sie ungünstig war?“ Nein, sie habe ja schließlich nie gesagt, dass sie das nicht wolle. „An so etwas wie Vergewaltigung würde ich nicht mal denken“, so H.
Die Aussagen von E. seien aus seiner Sicht falsch. Warum sich E. denn mit falschen Aussagen selbst belasten solle, fragte Uhlenbrock. Das wisse er auch nicht, so H.
Unterbrechung zu Beginn der zweiten Sitzung
Der zweite Prozesstag war gleich zu Beginn kurz unterbrochen worden. Eine Nebenklägerin wollte den Angeklagten vor dem Start der Sitzung ins Gesicht sehen, bevor sie zu einem späteren Zeitpunkt des Prozesses ihre Aussage macht. Das Gericht hatte ihr hierfür Gelegenheit gegeben.