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Kinderhospiz – Reise zum Ende des Regenbogens

Kinderhospiz – Reise zum Ende des Regenbogens

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Foto: WAZ FotoPool

Düsseldorf. Kindheit und Sterben – das scheint sich auszuschließen. Tatsächlich gibt es mehr todkranke Kinder, als das landläufige Vorurteil vermutet. In NRW gibt es drei Hospize, die junge Patient(inn)en auf ihrem Weg zum Tod begleiten. Eines davon ist in Düsseldorf.

Am Ende des Regenbogens, man muss es so brutal sagen, wartet der Tod. Aber zum Glück müssen wir uns im Regenbogenland viele Dinge genau anders herum vorstellen, als wir es gewohnt sind. So ist zum Beispiel einer der todesmutigen Helden in dieser Geschichte erst neun Jahre alt und kommt aus Essen. Johannes* lässt sich seine Schatzsuche so leicht nicht verderben. Manchmal führt er Besucher durch das Regenbogenland, bis sie schließlich im Aufbahrungsraum stehen. Und der todkranke Johannes sagt: „Hier werde ich auch mal liegen. Heute würde ich mir die Wilden Kerle wünschen. Aber da ich älter sein werde, wenn ich sterbe, hab‘ ich wahrscheinlich auch eine andere Lieblingsmusik.”

Die Besucher schlucken, aber die Kinder im Regenbogenland finden das logisch und tröstend. Ihre bunte Villa im Düsseldorfer Stadtteil Grafenberg ist ein Kinderhospiz, eine von nur drei stationären Einrichtungen dieser Art in NRW. Kinderhospiz – ein Wort, das zwei Welten zusammenführt, die sich nicht berühren dürften: die Kindheit und das Sterben. Aber das Kinderhospiz nimmt diese Unmöglichkeit an; und unsere Vorstellungen – von Glück zum Beispiel – winden und wenden sich, als wir im Frühstücksraum Familie Gröschner aus Dortmund treffen, die im Hospiz ihre Weihnachtsferien verbringt.

Die fünfjährige Finja hängt auf dem Schoß ihres Vaters, sie hat kaum Muskelkontrolle. Ihr Kopf fällt nach hinten, ihre Arme krampfen vor der Brust. Finja hat Morbus Krabbe, eine äußerst seltene und unheilbare Krankheit. Ein Gendefekt führt dazu, dass ihr Nervenmark zerfällt. Finja leidet unter Bewegungsstörungen, Krämpfen, aber auch unter geistigem Verfall. Das Augenlicht und die Hörkraft schwinden, die Ärzte hatten ihr nur zwei Lebensjahre diagnostiziert. Aber nun sitzt sie eben da und schmiegt sich an.

Ihre Mutter schaut, dass der gesunde zweijährige Lasse nicht von seinem Hochsitz herunterwibbelt, der Sonnenschein, ganz Solarenergie. „Für uns ist das Urlaub”, sagt Nicole Gröschner. Zwei Mal im Jahr kommt die Familie nach Düsseldorf, mindestens. Hospiz heißt hier eher Kurzzeitpflege als Endstation. Die Kinder werden von Fachpersonal rund um die Uhr betreut, zwei Kinderärzte stehen in Rufbereitschaft, die Eltern bekommen ein Appartement im ersten Stock, wenn sie wollen. Es geht um Entlastung.

„Am Anfang hab ich auch gedacht: Hospiz, neee …”, erinnert sich Nicole Gröschner. Doch weil die Krankenkasse sich zunächst verweigerte, suchten die Gröschners Hilfe beim ambulanten Kinderhospizdienst Ruhrgebiet. Als die Kasse einlenkte, hatten sie die Scheu vor dem Hospizgedanken verloren.

Zuhause haben sie nun einen Pflegedienst für Finja, der sie auch im Kindergarten betreut. Aber das ist nur der Vormittag. Rund um die Uhr braucht das Kind Betreuung, noch „in der Nacht muss Finja Medikamente bekommen und umgelagert werden, damit sie sich nicht wund liegt”. Dazu die Sorge: „Jeder Infekt kann lebensbedrohend sein.”

Die vergessenen Kinder

Im Regenbogenland werden also ganz alltägliche Dinge wieder zum großen Glück: länger aufbleiben, mal fernsehen, heute Abend eine Freundin in der Altstadt treffen, nicht ständig nach dem Monitor auf dem Nachttisch greifen, der zeigt, ob es Finja auch gut geht. „Das gibt Kraft, auch zuhause Normalität zu erzeugen”, sagt die 37-Jährige. „Die hatten wir am Anfang nicht immer. Am ersten Geburtstag von Finja saßen wir da mit betretenen Mienen. Aber jetzt feiern wir einfach.”

Der Leitgedanke des Regenbogenlandes ist: Dem Leben nicht mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben. Kurz: Es leben die Kinder! Ein sehr menschlicher Gedanke, wenn man unterstellt, dass für viele das Glück nur zählt, solange kein Ende abzusehen ist. Wie oft mussten sie das schon hören im Regenbogenland – so leid uns das tut –, dass wir doch lieber für Kinder mit Zukunft spenden. Aber warum nur sollte die Zeit eine Rolle spielen bei der Bewertung des Glücks? Es macht der Ewigkeit sicher nichts aus, noch ein wenig zu warten, solange liefern sich die vergessenen Kinder noch Rennen mit ihren Elektro-Rollstühlen.

„Die vergessenen Kinder”, so nennt auch Sozialpädagogin Melanie van Dijk ihre Gäste, denn die meisten leiden an Stoffwechsel- oder Muskelkrankheiten, die zu selten sind, als dass massiv an einer Heilung geforscht würde. Vergessen wird im Regenbogenland jedoch kein Kind. Im Wintergarten haben sie einen Erinnerungsbrunnen angelegt. Auf seinem Rand liegen bemalte Steine. Ein Stein für jedes Kind, das in diesem Jahr gegangen ist. Vierzehn sind es. So viele wie noch nie. „Sie suchen sich den Zeitpunkt aus”, sagt van Dijk. Der fünfjährige Rainer* ist an seinem Geburtstag gegangen, aber erst, als die ganze Familie schlief. Die elfjährige Michaela* hat auf ihre Eltern gewartet. Es geschah im November.

„Einschneidend war das”, erinnert sich Uwe Gröschner an diesen ersten Todesfall, den die Familie im Regenbogenland miterlebte. Johannes ist dabei, und sogar der kleine Lasse trägt eine Kerze bei der Prozession in den Aufbahrungsraum. Michaela* liebte die Farbe Rosa, also wird der Raum mit rosafarbenen Dingen geschmückt. Pausenlos läuft Prinzessin Lillifee. Und Michaelas kleiner Bruder, sagt ganz ernst: „Sieht meine Schwester nicht wunderschön aus. Als ob sie schliefe.”

*Namen geändert