Er rockt einen Sport, der als Stubenhocker-Hobby gilt: Magnus Carlsen, Pop-Star des Schachs. Der amtierende Weltmeister wird außerhalb seines Heimatlandes als knallhart inszeniert. Daheim, in Norwegen, ist das öffentliche Bild von ihm etwas differenzierter. Wie auch anders: Er lebt ja noch bei Mama.
Stockholm.
Daran, dass die Norweger inzwischen fast so begeistert Schach spielen und schauen wie andere Europäer Fußball, ist der nun zum zweiten Mal zum Weltmeister im Schachspielen gekürte Magnus Carlsen schuld. Er ist der Rockstar der Schachszene. Vorzeitig gewann der erst 23-jährige den vor rund einem Jahr errungenen Weltmeistertitel gegen seinen Vorgänger, den Inder Viswanathan Anand (44).
Aufgefallen war Carlsen schon mit 13, als er noch mit viel Babyspeck im Gesicht in Reykjavik knapp gegen die Schachlegende Garri Kasparow gewann. Dabei ist das Bild, das die Norweger selbst von Carlsen haben, etwas nuancierter als das im Ausland von seinen PR-Beratern verbreitete. Die haben aus Carlsen eine Marke gemacht. Der junge Mann soll hart und cool wirken, ein Mann sein, kein langweiliger Streber.
Männlicher Sportler im klassischen Sinn
In einem Interview sagte Carlsen einmal offenherzig auf die Frage, warum er denn immer so grimmig gucke, dass seine PR-Leute ihm das geraten hätten. Das stehe ihm besser als sein normaler etwas unbeholfener Blick.
Carlsen soll auch ein männlicher Sportler im klassischen Sinne sein, der das Skifahren und Frauen liebt, einen Hang zum Draufgängerischen hat und wie David Beckham als Fotomodel arbeitet.
Die Norweger wissen aber, dass ihr Volksheld vor allem auch eine andere Seite hat, die natürliche, die etwas zurückgezogene, scheue Seite, ohne die er nie so gut geworden wäre. Viele seine Landsleute sehen ihn nicht so sehr als den abenteuerlustigen Cowboy, sondern eher als sympathisch-kauzigen Eigenbrötler der größtenteils noch immer bei den Eltern wohnt.
Eltern waren „zunächst besorgt“
Schon als Neunjähriger hatte Vater Henrik ihm einen Privatlehrer zum Schachspielen besorgt. Carlsen tat als Kind und Jugendlicher fast nicht anderes als Schach zu spielen.
Er erhielt gar einen eignen Esstisch abseits der Familie, auf dem er seine Mahlzeiten ungestört über das Schachbrett gebeugt einnehmen konnte. Dementsprechend gilt er als sozial etwas ungeschliffen, gehemmt, ein wenig wie ein unhöflich-verzogenes Einzelkind, berichten Leute, die ihn trafen. Aber die meisten Genies hätten schließlich ihre Eigenarten, fügen sie respektvoll hinzu. „Wir waren zunächst besorgt“, räumte auch Vater Henrik vor der Weltmeisterschaft 2013 ein. „So jung berühmt zu werden, birgt Risiken.“
Das Privatleben scheint darunter zu leiden. Carlsen hat inzwischen viel Geld. Seit der letzten WM soll er laut Schätzungen der norwegischen Wirtschaftszeitung „NA24“ mindestens 3 Millionen Euro (3,7 Millionen Franken) im Jahr verdienen. Nun hat Carlsens Verkaufsteam ein eigenes Handyspiel auf den Markt gebracht. Sollte sich das durchsetzen, wird der 23-Jährige bald einer der reichsten Männer Norwegens sein.
Mozart und Carlsen – zwei Genies?
Dennoch soll Carlsen noch bei den Eltern leben. Sie halten ihrem Genie den Rücken frei. Boulevardblätter, die ihn eifrig beobachten, haben noch keine Freundin ausmachen können, auch wenn er im Rahmen seiner Werbekampagnen für „G-Star-Jeans“ mit attraktiven Schauspielerinnen wie Liv Tyler posiert.
In seiner Heimat wird der junge Mann mit den breiten Schultern längst wie ein Popstar verehrt. Gut 1000 Norweger wählten ihn diese Woche in einer Umfrage auf Platz drei der Top-Athleten des Landes. Mehr als 43.000 Menschen folgen ihm auf Twitter, seine Facebook-Seite hat über 166.000 Fans.
Erklären kann Carlsen seinen Erfolg übrigens nicht. Will er auch gar nicht wirklich. „Hat man Mozart jemals gefragt, wie er das macht? Es würde mich sehr beeindrucken, wenn er eine Antwort darauf hätte“, sagte er einmal in einem Interview. „Es ist mein Ding.“