Iserlohn.
Kosten für Versorger und Kunden? Machbarkeit? Sinnhaftigkeit – die Diskussion über das Thema „Erneuerbare Energien“ nimmt zur Zeit international wie national mächtig an Fahrt auf. Der Iserlohner Dr. Kurt Gehlert (75), ehemaliger Professor an der Fachhochschule Bielefeld und als promovierter Bergbau-Fachmann u.a. auch beim Streitgebiet“Fracking“ der Experte, glaubt nicht an die versprochene grüne Zukunft. Und er will das im Gespräch auch beweisen.
Herr Dr. Gehlert, ich muss Sie gleich warnen: Das Thema „Energiewende“ ist zwar hoch spannend, aber wenn es zu wissenschaftlich wird, stoße ich schnell an meine Grenzen des nachhaltigen Verstehens.
Ich verspreche Ihnen, Sie sanft zu führen, wenn ich Ihnen meine Gedankengänge nahebringe. Allerdings werden manche Fakten eine gewisse Härte beinhalten. Leicht wird es Ihnen jedoch bei den Berechnungen gemacht. Wir bleiben bei den vier Grundrechenarten. Die Energiewende wird oft vereinfachend auf die Erzeugung von Strom mit Hilfe von Erneuerbare-Energien-Anlagen reduziert. Dabei gehört auch die Wärmenutzung in Industrie und Privathaushalten dazu. Für dieses Gespräch bitte ich jedoch diese Vereinfachung zu akzeptieren, weil bereits in dem Teilbereich „Strom“ die wesentlichen Probleme aufscheinen.
Und noch einmal zum Verständnis. Wie kann und soll der Strom erzeugt werden?
Die Stromerzeugung als Erneuerbare Energie erfolgt laut Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) mit Hilfe von Wasserkraft, Windrädern (an Land und „Offshore”), Photovoltaik-Anlagen, Biomasse-Anlagen, einschließlich Biogas und Grubengas-Anlagen. Mit einem eigenen Gesetz gibt es noch Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung.
Was fordern die Befürworter der Energiewende?
Alle Befürworter der Energiewende unterstützen die Forderung, bis zum Jahr 2050 mehr als 80 Prozent des Stromes aus Erneuerbaren Energiequellen zu gewinnen. Sie möchten zudem den Strom für die Verbraucher bezahlbar erhalten. Und sie halten die Versorgungssicherheit bei Strom für wichtig.
Welche Einstellung haben die Befürworter zu den derzeitigen Hauptlieferanten?
Nahezu alle Befürworter der Energiewende möchten bis zum Jahr 2050 alle Braunkohle-, Steinkohle- und Öl-Kraftwerke stilllegen. Manche fordern sogar den Verzicht auf Gaskraftwerke, wie die Umweltministerin Hendricks. Sie möchte 2050 die Stromversorgung zu 100 Prozent aus Erneuerbaren Energien!
Was folgt für Sie daraus, wenn wir uns auf Wind- und Sonnenstrom konzentrieren?
Strom muss dann für wind- und sonnenarme Zeiten gespeichert werden, um die Versorgungssicherheit zu garantieren. Von den Erneuerbaren Energien liefern nur Wasserkraft-, Biomasse- und Grubengas-Anlagen relativ gleichmäßig über das Jahr Strom. Sie sind fast „grundlastfähig“, haben aber nur geringe Ausbauchancen bei den Erneuerbaren Energien. Ihr Anteil von Wasserkraft- und Biogasanlagen am Strommix ist mit 45,3 Prozent der Erneuerbaren Energien oder 11,5 Prozent des gesamten deutschen Brutto-Jahres-Stromverbrauchs von etwa 600 TWh zu gering, um die Versorgungssicherheit auch nur annähernd zu gewährleisten. Das gilt auch für die Zukunft, da sich die Wasserkraft an ihren Ausbaugrenzen befindet und die Benutzung von Biomasse bereits jetzt an Akzeptanzgrenzen in der Gesellschaft stößt.
Sie befürchten aber offenbar bei der Stromerzeugung hauptsächlich durch Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen negative Auswirkungen.
Genau, Windkraft an Land steht hoch angesetzt 3000 von 8760 Jahresstunden, Windkraft auf dem Meer etwa 6000 Jahresstunden und Photovoltaik (Sonnenstrom) etwa 1000 Jahresstunden mit voller Leistung zur Verfügung.
Aber gelegentlich stehen beide auch nicht zur Verfügung. Wie lang dauernd halten Sie maximal die Möglichkeit einer Windflaute? Drei Tage?
Oft. Bei Hochdruck-Wetterlage.
Eine Woche?
Selten.
Drei Wochen?
Sehr selten
Noch länger?
Kommt kaum vor.
Zur Sonne: Was sagen die Wetteraufzeichnungen zu der Frage, wie lange der Himmel in Deutschland durchgehend bedeckt sein und die Photovoltaik daher keinen Strom liefern kann? Drei Tage?
Oft. Bei Tiefdruck-Wetterlage.
Eine Woche?
Nicht selten. Bei Dauerregen.
Drei Wochen?
Immer wieder einmal, speziell im Winter.
Ihr erstes eigentlich auch logisches Fazit?
Strom aus Windkraft- und Photovoltaikanlagen variiert sehr stark entsprechend dem Wetter über längere Zeiträume bis zu Wochen, bei der Photovoltaik zusätzlich über den Tag-Nacht-Zyklus. Niemand bezweifelt, dass die Versorgungssicherheit als ernsthafte Forderung zu betrachten ist. Daher ist die Stromspeicherung unbedingt nötig zur Abdeckung des Strombedarfs, „wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint“.
Also brauchen wir leistungsfähige Akkus oder Batterien?
In den Medien wird leicht der Eindruck erweckt, dass die Batterieforschung durch die milliardenschwere öffentliche Förderung den Durchbruch zu einer wirtschaftlichen Stromspeicherung bringen würde. Es fällt auf, dass bei diesem Thema kein Unterschied zwischen der Strom-Speicherung im Bereich von Minuten bis zu Stunden und der Strom-Speicherung im Bereich von Tagen oder gar bis zu Wochen gemacht wird.
Über welche Bedarfs-Größenordnungen reden wir denn überhaupt?
Heute verbrauchen wir jährlich 600 TWh. Festgelegt durch die Regierung sollen wir im Jahr 2050 einen jährlichen Brutto-Stromverbrauch in Deutschland von 500 TWh haben. 80 Prozent sollen dann aus erneuerbaren Quellen stammen, entsprechend 400 TWh. Selbst bei Annahme einer Verdoppelung des Stromes aus nahezu grundlastfähigen Wasserkraft- und Biogasanlagen bis dahin auf 140 TWh fehlen 260 TWh, die bei Dunkelheit und Flaute aus Speichern bereitgestellt werden müssen, weil dann ja keine Kohlenkraftwerke als Backup-Kraftwerke mehr zur Verfügung stehen sollen. Eine riesige Strommenge, mehr als 50 Prozent des Gesamtverbrauchs, die „eingelagert“ und wieder in das Netz „eingespeist“ werden müsste.
Was gibt es denn überhaupt an Speichermöglichkeiten?
Akkumulatoren mit unterschiedlichsten Innenleben: Speicherung für kurze Zeit und für kleine Strom-Mengen.
Pumpspeicherkraftwerke: Speicherung für lange Zeit und bei geeigneter Landschaft große Strom-Mengen.
Power-to-gas: bei vorhandenen geologischen Gas-Lagermöglichkeiten Strom über längere Zeit und in großen Mengen. Das Verfahren befindet sich derzeit im Versuchsstadium, kämpft mit einem Wirkungsgrad von nur 25 Prozent bis 30 Prozent.
Druckluftspeicher unter Tage kombiniert mit Gasturbinengeneratoren: in Versuchsanlagen, mit Wirkungsgrad von nur 50 bis 60 Prozent bei begrenzten Volumina nur mittlere Strommengen für mittlere Zeit.
Noch einmal zur Akkumulatoren-Technik: Ihre Einschätzung zu dieser Speichermöglichkeit klingt anders als manche positive Veröffentlichung es glauben machen möchte?
Akkumulatoren jeder Art können nur Verbrauchsspitzen abdecken. Zur Langzeit-Stromspeicherung und –Stromabgabe sind sie von Größe und Kosten her nicht darstellbar.
Könnte man die Akkus der Elektrofahrzeuge bei Bedarf anzapfen?
Das klingt immer nach einer guten Idee und soll in einer Überschlagsrechnung einmal betrachtet werden. Im Jahr 2020 werden wir plangemäß 1 Millonen akkubetriebene Pkw in Deutschland haben. Zapfen wir sie an und entnehmen 50 Prozent der Akku-Kapazität von durchschnittlich 25 kWh, dann deckt die dadurch erhaltene Strommenge (12,5 x 1 000 000 =12,5 GWh, bei einem täglichen Verbrauch von 712 GWh) für 25 Minuten und 17 Sekunden unseren Bedarf ab. Anschließend haben alle Besitzer eines Elektrofahrzeuges nur noch 50 Prozent Reichweite für die nächste Fahrt. Würden Sie das gerne zulassen?
Wenn es so also nicht geht, wie geht es anders?
Beim heutigen Stand der Technik sind nach meiner Einschätzung nur Pumpspeicherkraftwerke und power-to-gas-to-power-Anlagen denkbar, die große Mengen Strom über lange Zeit (Tage bis Wochen) „speichern“ und „liefern“ könnten.
Fangen wir mit den Pumpspeicherkraftwerken an.
In Deutschland existieren derzeit fast 40 Speicherseen. Sie erzeugten durch vielfaches Ablaufen und Hochpumpen 4042 GWh Strom zur Verbrauchsspitzenabdeckung im Laufe eines Jahres. Ihr Speicherinhalt reicht theoretisch aus, um für 80 Minuten und 54 Sekunden bei durchschnittlichem Stromverbrauch den Bedarf zu gewährleisten. Danach sind sie leergelaufen und müssen mit Pumpen wieder gefüllt werden. Benötigt werden aber Kapazitäten für 7 Tage = 10 080 Minuten, wenn wir eine einwöchige Flaute und fehlenden Sonnenschein nicht ausschließen können. Fazit: In Deutschland müssen rund 125 Mal so viele Speicherseen bis 2050 geschaffen werden, wie heute existieren. Diese Flächen und Volumen in topographisch machbaren Gebieten hätten und haben wir gar nicht. Damit es fassbar wird: 20 Kubikkilometer Wasser müssen 50 Meter Fallhöhe bekommen, um gegebenen Falls über Turbinen in den unteren See mit 20 Kubikkilometer Fassungsvermögen zu laufen. Zum Vergleich der Bodensee mit 48 Kubikkilometer Inhalt. Er müsste fast in der Mitte mit einer 125 Meter hohen Staumauer geteilt werden.
Wenn es also in Deutschland auf Grund der Topographie nicht möglich ist, zusätzlich mehrere große also, „kleine Bodenseen“ oder über 100 Pumpspeicherkraftwerke in hierzulande üblicher Größe zu bauen, müssten sie ab sofort im Ausland gebaut werden.
Dafür kommen nur die Schweiz oder Norwegen in Frage. Denn Österreich hat schon abgewinkt. Meine Vermutung: Die Schweizer reagieren allergisch und die Norweger zeigen einen Vogel.
Und dann ist da noch die Sache mit den Stromleitungen.
Stimmt! Deutschland braucht heute zur unterbrechungsfreien Stromversorgung eine verfügbare Erzeugerleistung von 84 GW, nach der Projektion für 2030 etwa 70 GW. Zwischen Norwegen und Deutschland gibt es z.Zt. eine Leitung mit 1 GW.
Für die Übertragung der benötigten Leistung aus zentralen Pumpspeicherkraftwerken (Schweiz, Norwegen, Bodensee) in die entfernt liegenden Verbrauchsschwerpunkte wären also entsprechend viele Hochspannungsleitungen unabdingbar erforderlich?
Richtig! Ich schätze die Zahl auf etwa 70 Höchstspannungsleitungen von etwa 300 bis 1200 Kilometer Länge. Übrigens: die 2800 Kilometer Höchstspannungsleitungen innerhalb Deutschlands werden laut DENA bis zum Jahr 2022 unabhängig von vielleicht bis dahin in Norwegen gebauten Pumpspeicherkraftwerken benötigt.
Kommen wir zum nächsten Themenbereich: power-to-gas. Was bedeutet dieser Begriff?
Diese Kurzbezeichnung hat sich für die Verfahrensreihe eingebürgert: vom Windstrom über Gleichstrom-Elektrolyse zum Wasserstoffgas. Dabei soll bevorzugt Windstrom, der über den augenblicklichen Bedarf an Strom hinausgeht, in Anlagen zu H2, Wasserstoffgas und weiter zu speicherbarem Methan „umgewandelt“ werden. Der letzte Umwandlungsschritt von CH4 mit Hilfe eines Gasturbinen-Generators zu Strom wird in der Kurzform mit „power-to gas-to-power“ bezeichnet.
Dafür braucht es aber wieder viele Windräder? Machen Sie es bitte so einfach wie möglich.
Eine letzte kleine Rechnung dazu ist schnell gemacht: Zum Ende des Jahres 2014 liefen in Deutschland fast genau 25 000 Windräder, die 8 Prozent der Jahres-Strommenge lieferten. Bei komplett ausgebauter Infrastruktur für das power-to-gas-to-power-System würden nur 24 Prozent der Strommenge von zusätzlichen 200 000 gleichartigen Windrädern geliefert werden können. Allerdings existieren bisher die zusätzlich benötigten Hauptgasleitungen, Gasspeicher und Gaskraftwerke nicht. Diese Investitionen kämen zu den 200 000 Windrädern hinzu. Diese riesige Anzahl kommt wegen des geringen Wirkungsgrades von 25 Prozent bei power-to-gas-to-power und wegen der 2/3 der Zeit stillstehenden Windräder zu Stande.
Nur 24 Prozent des Stromverbrauchs würden so abgedeckt? Sollten es nicht eher 50 Prozent sein?
In Ordnung. Die erweiterte Rechnung auf 50 Prozent Dauerstrom aus Windkraft er gibt die Anzahl von etwa 470 000 deutschen Windrädern.
Die Zahl ist schwer vorstellbar.
Deutschland bedeckt eine Fläche von etwa 360 000 Quadratkilometern. Dann hätte jedes der 470 000 Windräder durchschnittlich 0,76 Quadratkilometer zur Verfügung. Im Stadtgebiet von Iserlohn mit 125,5 Quadratkilometern Fläche würden 165 Windräder stehen.
Ihr Fazit bis jetzt?
Die Energiewende ist klar erkennbar unter den in Deutschland gegebenen Bedingungen als gescheitert zu betrachten, wenn man sie naturwissenschaftlich-technisch unter Anwendung der vier Grundrechenarten in die Zukunft projiziert.
Und Ihre Zukunftsprognose?
Keine Kernkraftwerke mehr, aber ein Mix von modernen Braunkohle-, Steinkohle- und Gaskraftwerken. Fast alle Windräder und Biogasanlagen sind am Ende ihrer Lebensdauer und stillgelegt, Photovoltaikanlagen sind zwar abgeschrieben, liefern aber durch Alterung nur noch die Hälfte bis 70 Prozent ihrer ursprünglichen Leistung. Es gibt keine EEG-Vergütung mehr und keinen Vorrang der Einspeisung. Die Politik konstatiert besorgt: Unsere Amtsvorgänger haben uns ein desillusioniertes Volk hinterlassen.