Erst die Clan-Straßenschlacht in Essen im Juni, dann die drohenden Tumulte mit hunderten Beteiligten am Samstag (19. August) – wieder in Essen (mehr hier). Die Polizei hatte in den vergangenen Wochen alle Hände voll damit zu tun, die Lage im Ruhrgebiet unter Kontrolle zu halten.
In diesem Zusammenhang gerät jetzt auch die Clan-Strategie von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) in die Kritik. Ahmad Omeirat, Integrationsbeauftragter und Ratsherr der Essener Grünen, erklärt im Interview mit DER WESTEN, wem die viel zitierte „Politik der 1.000 Nadelstiche“ aus seiner Sicht in die Hände spielt – und welche Gefahren deshalb lauern.
Essen: „Reul jagt mich mit 500 Leuten“
Es ist eine ganz neue Perspektive, die Ahmad Omeirat in die Diskussion um die Konflikte zwischen Syrern und Libanesen und im neuesten Fall auch Irakern ins Spiel bringt. Der gebürtige Libanese verriet, dass er in beiden Fällen persönliche Fehden bei TikTok ausgemacht habe, die letztlich hohe Wellen geschlagen hätten (mehr hier). Der Grünen-Politiker spricht dabei von „Alltagsversagern, die keinerlei Beitrag in der Mehrheitsgesellschaft leisten“ würden – zählt unter anderem auch Rapper dazu.
Die seien in ihren jeweiligen Communitys teilweise extrem populär und würden ihre Reichweite unter anderem dazu nutzen, um gegen ganze ethnische oder religiöse Gruppen zu hetzen und zu Gewalt aufzurufen. Der deutsche Staat werde dabei ebenso als Gegenspieler ins Visier genommen. Und hier kommt Herbert Reul ins Spiel. Dessen öffentlichkeitswirksamen Razzien mit Hundertschaften und gepanzerten Fahrzeugen wüssten die Hetzer für sich zu nutzen nach dem Motto: „Reul jagt mich mit 500 Leuten.“ „Das sind genau die Bilder, die diese Leute brauchen“, warnt Omeirat. Es sei nicht der einzige negative Nebeneffekt der „Politik der 1.000 Nadelstiche“.
„Reul-Taktik nicht aufgegangen“
Das NRW-Innenministerium möchte mit der Strategie die kriminellen Strukturen nach und nach aushöhlen, Präsenz auf der Straße zeigen. Ein Vorgehen, das in Polizei-Kreisen häufig gelobt wird, wie unter anderem von Essens ehemaligen Polizei-Chef Frank Richter (mehr hier). Andere kritisieren, dass der NRW-Innenminister sich nicht um die wahren Probleme bei der Polizei in NRW kümmern würde. Omeirat merkt an, dass bei den Razzien nach dem Gießkannenprinzip vorgegangen werde und die medialen Auftritte vor allem vor Shisha-Bars viele rechtschaffende Menschen mit Migrationshintergrund verschreckt hätten. Sie fühlen sich wegen der Razzien unter Generalverdacht.
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Der Ouput, also die Anzahl anschließender Strafverfahren oder aufgedeckter Straftaten, sei nach Ansicht des Essener Ratsmitglieds zu gering, um die Vielzahl der Einsätze zu rechtfertigen. „Ich kann Herrn Reul nur empfehlen, sich auf das Einmaleins der Kriminologie zu besinnen: sauber und strafrechtlich ermitteln, Taten und Täter verfolgen und nicht Ethnien und Familiennamen“, so Omeirat. Andernfalls bestehe die Gefahr der Sippenhaft.
Reul hingegen betonte in der Vergangenheit immer wieder, dass neben den Razzien im Hintergrund auch in Zusammenarbeit mit verschiedenen Behörden (zum Beispiel Steuerfahndung) gegen kriminelle Clans ermittelt werde. Der NRW-Innenminister schreibt sich auf die Fahne, dass sich die Anzahl von Haftbefehlen gegen kriminelle Clan-Angehörige seit seinem Amtsantritt verdoppelt habe.