Die Angst vor dem Fremden, sie wächst in Deutschland. Es wird illegal immigriert, es werden Jobs geklaut und Anschläge geplant – so zumindest die Wahrnehmung vieler. Die Antwort der deutschen Politik darauf: Kontrollen an allen deutschen Grenzen durch die Polizei.
Durch konkretes Handeln wolle man jetzt die innere Sicherheit stärken und einen harten Kurs gegen irreguläre Migration fahren, so Bundesinnenministerin Nancy Faeser im September. Doch geht dabei alles mit rechten Dingen zu?
Polizei-Experte packt aus
Mohamed Amjahid ist Investigativ-Journalist. Seit über zehn Jahren recherchiert er zur Polizei in Deutschland. Einer seiner Fokuspunkte dabei: Racial Profiling, also die Praxis der selektiven Überprüfung von nicht-weißen Menschen aufgrund äußerlicher Merkmale wie Haut- oder Haarfarbe, aber auch aufgrund erkennbarer kulturell-religiöser Symbole wie Kopftuch oder Kippa. In seinem Buch „Alles nur Einzelfälle. Das System hinter der Polizeigewalt“ stellt er einige erschreckende Forschungsergebnisse vor. Wir haben mit ihm darüber gesprochen.
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Unsere Redaktion: Herr Amjahid, Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Racial Profiling ein Instrument sei, mit dem Menschenrechte missachtet werden. Gleichzeitig machen Polizeibeamte täglich Erfahrungen im Dienst. Wieso sollten sie diese nicht anwenden?
Mohamed Amjahid: Weil es illegal ist. Es gibt viele Gerichtsurteile, die das bestätigen. Deswegen sollten sich die Behörden an geltendes Recht halten. Hinzu kommt die sicherheitspolitische Perspektive. Racial Profiling macht uns alle unsicherer.
Wie meinen Sie das?
A: Keiner weiß, wie eine Person aussieht, die Böses im Schilde führt. Es gibt nicht den klassischen Terroristen. Es wäre besser, sich auf andere Erkenntnisse wie Informationsflüsse zu stützen, nicht auf diskriminierende Vorurteile. Menschen, die ein Recht auf Asyl haben, werden so in ihrem Recht behindert. Die aktuellen Grenzkontrollen sind Zeit- und Ressourcenverschwendung. Die Ressourcen werden auf falsche Aspekte gelenkt – und die wahren Kriminellen kommen unbescholten davon. Gleichzeitig werden deutsche Staatsangehörige, die nicht weiß sind, in ihrem Alltag eingeschränkt.
Haben Sie solche Erfahrungen selbst auch schon gemacht?
A.: Ja, bei vielen Grenzübertritten mit der Bahn. Ich beobachte diese oft langwierigen und unnötigen Kontrollen aber auch bei anderen Nicht-Weißen an Orten wie Flughäfen und Bahnhöfen.
Polizei-Experte: Rassismus geht bis in die obersten Reihen
Wo ziehen Sie die Grenzen zwischen Grenzkontrollen und Racial Profiling?
A.: Eigentlich gibt es freie Mobilität innerhalb des Schengenraumes. Darauf haben sich die EU-Staaten geeinigt – und das hat die aktuelle Bundesregierung jetzt aufgegeben. Gerade Menschen in Grenzregionen leiden darunter. Als Gesellschaft sollten wir uns deshalb fragen: Was wollen wir erreichen? Eine Grenzkontrolle, die den Namen wirklich verdient, macht keine Ausnahme. Da werden alle kontrolliert. Aber das geschieht nicht. Es wird am Aussehen festgemacht.
Was kann die Polizei machen, um diese Praxis zu verhindern?
A.: Der einzelne Polizist ist daran nicht schuld. Ich weiß aus meinen Recherchen, dass der Auftrag, Racial Profiling zu betreiben, nicht im Zug entsteht, sondern einige Ebenen höher, und das dann nach unten weitergegeben wird. Entscheidungsträger bei der Polizei haben das auch schon mehrfach offen zugegeben. Hier muss der strukturelle Charakter betont werden.
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Von welchen Ebenen sprechen Sie?
A.: Innenministerin Nancy Faeser hat mehrmals gesagt, dass sie illegale Migration eindämmen möchte. Dass sie die Menschen herausfischen möchte, die von außen kommen und unsere Sicherheit bedrohen. Deswegen gibt sie ihrer Bundespolizei nach unten weiter, dass sie Racial Profiling betreiben soll. Was hier seit einigen Wochen an den Grenzen passiert, ist nichts anderes als ein groß angelegtes Racial-Profiling-Projekt. Das ist nicht mit der Menschenwürde und nicht mit einer guten Sicherheitspolitik vereinbar.
Woher kommt diese Sorge vor dem Unbekannten, dem Fremden?
A.: Diese Angst ist in unserer Gesellschaft tief verankert. Das gab es schon vor Jahrhunderten. Menschen haben Angst um die öffentliche Ordnung und ihren Besitz. Beides wird durch den vermeintlichen „Eindringling“ gefährdet. Heutzutage kommt hinzu, dass eine Partei von rechts außen den Ton angibt und viele andere Parteien nachtanzen. Dass Minderheiten für alles verantwortlich gemacht werden, was schiefläuft, führt dazu, dass sie in den polizeilichen Fokus rücken und ganz bewusst diskriminiert werden. Gestützt auf unzählige Forschungsergebnisse kann man deshalb sagen: In Deutschland wird das Grundgesetz täglich gebrochen.