Die Bilder vom AfD-Parteitag in Riesa (11./12. Januar) machten bundesweit Schlagzeilen. Dabei im Fokus: das Verhalten der Polizei gegenüber zahlreichen Demonstrierenden. Videos zeigen, wie heftig Beamte gegen sie vorgingen, allen voran auch gegen den Linken-Politiker Nam Duy Nguyen.
Doch das ist kein Einzelfall. Polizeigewalt ist in Deutschland nicht mehr selten, sie wird strukturell begünstigt. Zu diesem Schluss kommt Mohamed Amjahid. Der Autor und Investigativ-Journalist hat die Polizei jahrelang untersucht, mit Insidern gesprochen und kommt im Rahmen seines Buch „Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt“ zu erschreckenden Ergebnissen.
Polizeigewalt ist weit verbreitet
Nam Duy Ngyuen war als parlamentarischer Beobachter im sächsischen Riesa. Als Abgeordneter im dortigen Landtag ist es sein Recht, bei Versammlungen das Verhalten der Exekutiven und damit der Polizei zu beobachten, zu dokumentieren und zu kontrollieren. Beim AfD-Parteitag endete das für ihn mit einem Schlag ins Gesicht, der ihn bewusstlos machte. Es ist nur ein Fall von vielen, der zeigt: Polizisten haben sich nicht immer im Griff. Und das System begünstigt sie dabei.
Auch interessant: Polizei: Heftige Vorwürfe werden laut – „Grundgesetz wird täglich gebrochen“
Mohamed Amjahid: „Eigentlich ist die Polizei gesetzlich dazu angehalten, immer das mildeste Mittel zu nutzen und das Gewaltmonopol verhältnismäßig umzusetzen, aber zu viele Polizist*innen machen das nicht.“ Durch Handyvideos von unzähligen Demonstrationen werde das mittlerweile in der Öffentlichkeit immer sichtbarer. Doch woher kommt dieses aggressive Vorgehen?
Laut dem Autor haben Forscher aus Hamburg, Berlin und Frankfurt am Main dafür untersucht, welche Persönlichkeitszüge Menschen dafür begünstigen, eine Karriere bei der Polizei anzustreben. Das Ergebnis: „Menschen, die auf Recht und Gesetz pochen und ein eher wertkonservatives Weltbild haben, gehen eher zur Polizei als jemand, der mal bei der Antifa war.“
„Ein Grundpfeiler der Polizei-Kultur“
Zwei Komponenten führen dann letztendlich dazu, dass es zu Polizeigewalt komme. Einerseits fuße diese oft auf einer überbordenden Männlichkeit. „Also ein breitbeiniges Auftreten, das laut und bedrohlich ist. Diese Charakterzüge spielen in die Art und Weise, wie einige Polizisten ticken, mit rein.“
Die zweite Komponente ist der sogenannte Korpsgeist, erklärt Amjahid. „Polizisten lernen schon in der Ausbildung, dass sie sich immer aufeinander verlassen können müssen. Das gilt eigentlich für Gefahrensituationen, spiegelt sich aber auch vor Gericht wider, wenn ein Polizist gegen seinen Kollegen aussagen soll.“ Das Problem dabei: „Es hat sich laut verschiedenen Studien eine Art Parallelgesellschaft aufgebaut, in der gilt: ‚Egal, was der Kollege macht, ob er sich zum Beispiel in rechten Kreisen aufhält oder illegal Personendaten abschöpft, wir verpfeifen ihn als Kollegium nicht.‘ Das ist ein Grundpfeiler der Polizei-Kultur.“
Der lange Arm des Systems
Unterstützt wird dieses System zusätzlich durch die fehlende übergeordnete Instanz. Wenn jemand Opfer von Polizeigewalt wird, muss er diese bei der Polizei – und damit den Kollegen des mutmaßlichen Täters – anzeigen. Laut dem Experten machen das aber nur die Wenigsten. Das läge unter anderem daran, dass entsprechende Vereine und Anwälte davon abraten, „weil die Polizei dann Gegenanzeigen macht, um die Menschen finanziell zu schwächen. Solche Verfahren kosten schließlich viel Geld – und das hat nicht jeder.“
Letztlich landen durch dieses Vorgehen zur zwei Prozent der Fälle vor Gericht, wovon wiederum nur ein Prozent mit einer Verurteilung enden. Amjahid resümiert: „Das ist extrem wenig.“ Allerdings wird dabei die Dunkelziffer nicht mit einberechnet. „Die Forschung geht davon aus, dass sich diese in Dimensionen bewegt, die nicht mal mehr absehbar sind.“
Mehr News zum Thema:
Betreffen kann das letzten Endes jeden. Man müsse laut dem Experten nicht mal auf große, gewaltvolle Demonstrationen gehen. Es reicht auch der Besuch eines Fußballspiels oder einer anderen Großveranstaltung. „Jede Bevölkerungsgruppe ist betroffen.“
Zwar gäbe es immer wieder mutige Polizisten, die am Vorgehen der Kollegen Kritik äußern, doch diese haben innerhalb der Einheit ein schweres Standing. Wer sich äußert, muss mit Sanktionen rechnen. „Da kann es schon auch mal sein, dass man vom aktiven Dienst in das Archiv versetzt wird. Viele trauen sich deshalb nicht, etwas zu sagen, weder intern noch extern.“
Doch welche Optionen bleiben da noch, um dieses System zum Wanken zu bringen? Laut Amjahid gebe es viele Möglichkeiten, mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen. Zum Beispiel Bodycams, aber auch Polizeiquittungen, die nach einer Kontrolle ausgestellt werden. Doch am sinnvollsten wäre aus Sicht des Experten „eine neutrale Oberpolizei, die bei Machtmissbrauch ermittelt. Das gibt es zum Beispiel bereits in Irland und Dänemark. Diese Behörden haben Akteneinsicht und können so mit vollen Ressourcen ermitteln“ und Fälle ergebnisoffen aufklären – zum wirklichen Schutze der Bevölkerung.