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Schwedens gequälte Heimkinder

Schwedens gequälte Heimkinder

Regierung entschuldigt sich für das Unrecht, das tausende Heimkinder zwischen 1920 und 1980 erleiden mussten.

Stockholm. 

Unter Anwesenheit der schwedischen Königin Silvia, 1300 Gästen und TV-Liveübertragungsteams, hat sich die schwedische Regierung bei einer Zeremonie gestern in Stockholm für das Unrecht entschuldigt, dass tausende Heimkinder zwischen den Jahren 1920 und 1980 erlitten.

„Die schwedische Gesellschaft bittet euch Frauen und Männer, die gelitten haben, um Entschuldigung. Und dies ist eine Entschuldigung ohne Vorbehalte. Die Misshandlungen, denen ihr ausgesetzt wurdet, sind eine Scham für ganz Schweden“, sagte Parlamentsvorsitzender Per Westerberg im altehrwürdigen Stockholmer Stadthaus, international bekannt durch die dortigen Nobelpreis-Feste.

Geschädigte sollen Schadensersatz bekommen

Kinderministerin Maria Larsson versprach sämtlichen Geschädigten Schadensersatz, ließ jedoch offen, ob es beim zuvor genannten Betrag von 250 000 Kronen (27 200 Euro) je Person bleibt.

Die Regierung war erst nach zahlreichen Protesten des Heimkinderverbandes zu einer offiziellen Entschuldigungszeremonie und der Erwägung einer Schadensersatzzahlung bereit. Kritisiert wurde am Montag zur Zeremonie dementsprechend auch, dass Regierungschef Fredrik Reinfeldt nicht an der Zeremonie teilnahm.

Aber insgesamt wirkten die Anwesenden zufrieden. So auch Kirsi Aaltonen. Sie und ihre Geschwister wurden in den Fünfziger-Jahren ihrer alleinerziehenden Mutter nach einem psychischen Zusammenbruch weggenommen und fristeten bis zur knappen Volljährigkeit, wie tausende anderer Kinder, ein alptraumhaftes Dasein in Heimen und Pflegefamilien.

Zwangseinweisung ganzer Kindergenerationen

„Wir erlebten alles: sexuelle Übergriffe, Vergewaltigungen, psychische Quälereien, Vernachlässigungen jeglicher Art“, erinnert sie sich. Die Entschuldigung der Regierung sei ihr wichtig, betonte sie in der Liveübertragung des schwedischen Radios SR.

Die Zwangseinweisung ganzer Kindergenerationen aus „sozial bedenklichen“ Familien in Heime und Pflegefamilien, wo sie statt der versprochenen, besseren Kindheit oft misshandelt und sexuell ausgenutzt wurden, gilt als besonders dunkles Kapitel im sonst als kinderfreundlich geltenden, sozialdemokratisch geprägten schwedischen Volksheim.

In dessen Aufbruchstimmung wollten die Gründerväter mit der Überzeugung, dass das soziale Umfeld der Kindheit alles entscheide, ein besseres Volk schaffen. Von den 20er-Jahren bis 1980 wurden Kinder aus „bedenklichem sozialen Milieu“ dann einfach den Eltern weggenommen. Auch in vielen Fällen, die heute auch in Schweden völlig indiskutabel wären.

Vor einigen Jahren griff ein schwedischer Kinofilm das Thema auf, es gab Ausstellungen, und der Verein der Heimkinder veranstaltete Aufklärungsveranstaltungen und Demonstrationen für Entschädigungszahlungen.

Missstände heute

Schon ärmlichen ländlichen Familien, die nach staatlicher Auffassung zu arm waren und zu viele Kinder hatten, alleinstehenden Müttern und vorbestraften Eltern durften Kinder einfach weggenommen werden. Auch wenn in der Gegenwart nur noch Kinder in extrem schweren Fällen den Eltern weggenommen werden, wurde durch die Diskussion um die Heimkinder von einst, auch die Lage der Heimkinder in Schweden von heute eingehender beleuchtet.

Das Fazit: Obwohl sich die Bedingungen deutlich verbessert haben, gibt es noch immer viele von Medien aufzudeckenede Missstände in der staatlichen Heimkinderfürsorge. Das betont auch Kirsi Aaltonen: „Das, was mir passiert ist, ist passiert. Da kann man nichts mehr rückgängig machen. Dahingegen aber wäre es sehr gut, wenn ich wirklich davon überzeugt wäre, dass so etwas heutzutage nicht mehr vorkommt“, sagt sie kritisch.