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Seit 50 Jahren gibt es den Fünf-Minuten-Krimi namens Lotto

Seit 50 Jahren gibt es den Fünf-Minuten-Krimi namens Lotto

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Foto: dpa
Das Erste gibt der Nation die Kugel – seit 50 Jahren. Der Kurz-Krimi am Samstag mischt das Leben von Glückspilzen auf – und macht seine Gesichter zu Stars.

Frankfurt. 

Die Sendung kommt am späten Samstag und ist nur kurz, gerade einmal fünf Minuten lang. Aber sie wird sehr schnell sehr beliebt. 49 Darsteller hat sie, sechs von ihnen spielen eine Hauptrolle. Sie sind rund, sind eigentlich Tischtennisbälle. Nur dass sie jetzt Nummern tragen. Sie können Leben verändern, ach was, auf den Kopf stellen. Denn sie können Menschen zu Millionären machen. Deshalb sitzen die Menschen vor dem Fernseher. Am 4. September 1965 läuft dort die erste im TV übertragene Ziehung der Lottozahlen.

Bald schon hat sie Rituale geschaffen. Die meisten Deutschen haben ihre Scheine auf dem Wohnzimmertisch ausgebreitet. Meist schon früh am Abend, wenn Kuli verspricht „Einer wird gewinnen“ oder Rudi das laufende Band anwirft. Noch einmal schnell den Schein zum Glück glatt gestrichen und das Bier zur Seite gestellt, damit es nicht umfällt im möglichen Freudentaumel, dann kann es losgehen. Gut, die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass man der Hauptgewinner wird, 1:14 Millionen, um genau zu sein, aber vier oder fünf Richtige wären ja auch nicht schlecht. „Hat die Frau Müller neulich auch geschafft. Waren auch ein paar tausend Mark.“

Seriös und vertrauenswürdig

Zumindest weiß man, dass hier alles mit rechten Dingen zugeht, denn: „Der Aufsichtsbeamte hat sich vor der Sendung vom ordnungsgemäßen Zustand des Gerätes und der 49 Kugeln überzeugt“, wie die hübsche blonde Dame zu Beginn jeder Übertragung versichert. Karin Tietze-Ludwig heißt sie, wird schnell in den Stand einer „Lottofee“ erhoben und gilt als personifizierte „Seriosität und Vertrauenswürdigkeit“, wie Fernsehdirektor Hans-Werner Conrad 1998 anläßlich ihres Abschiedes sagte. Sie ist nicht die erste Ansagerin der Lottozahlen (das war Karin Dinslage), sie ist aber die bis heute bekannteste.

Pannen hat es nur wenige gegeben in all den Jahren. Mal ist eine Kugel zerbrochen, mal sind gleich zwei hängengeblieben. Und gleich in ihrer ersten Sendung hat Tietze-Ludwig die sechs und die neun verwechselt. Den wohl größten Aufruhr allen Aufsichtsbeamten zum Trotz aber verursacht 1994 eine Satire des Politmagazin „Monitor“, in der behauptet wird, der damalige Finanzminister Theo Waigel würde die Ziehungen manipulieren, um den Staatshaushalt zu sanieren. Viele Zuschauer glauben den Beitrag. Wahrscheinlich sind es die gleichen Zuschauer, die auch glauben, Tietze-Ludwig könne Einfluss auf die Gewinnzahlen nehmen. Das ist natürlich Quatsch, führt damals aber zu dubiosen Angeboten, in denen das Wort „Gewinnbeteiligung“ vorkommt.

Die Ziehung der Lottozahlen ist für die Lottofee der „spannendste Kurzkrimi“. Und für die Zuschauer ist er das auch. Stecknadeln kann man fallen hören in deutschen Wohnzimmern, während die Plexiglastrommel rotiert, stehenbleibt und dann eines der Plastibällchen aufsaugt und es in einen schmalen Glasbehälter fallen lässt. Auf den Scheinen werden dann zu Hause Kreise um die Zahlen gemacht, die man richtig getippt hat. Bis man feststellen muss: „Wieder nix.“

Seit 2013 nur noch im Internet

Doch das ist alles längst Geschichte. Im Sommer 2013 kommt nach stetig sinkenden Quoten das endgültige Aus im Fernsehen. Künftig ist die Ziehung der Lotto-Zahlen nicht mehr live im Fernsehen, sondern nur noch im Internet zu sehen. Jeden Mittwoch um 18.25 Uhr und jeden Samstag um 19.25 Uhr. Das Interesse daran ist verhalten. Wo früher Millionen vor dem Bildschirm saßen, schauen heute im Schnitt gerade einmal 24 000 Menschen zu, wenn die aktuelle Lottofee Franziska Reichenbacher die Gewinnzahlen bekannt gibt. Mit den meisten Deutschen hat sie übrigens eines gemeinsam, wie sie neulich in einem Interview gestanden hat: „Auf den großen Gewinn warte ich noch.“