In den Niederlanden plant die Bahn für Züge ohne Toilette die Einführung von Pinkel-Beuteln. Im Notfall sollen die Reisenden darauf zurückgreifen können.
Den Haag.
Sie heißen Sprinter, weil sie nur auf Kurzstrecken eingesetzt werden. Doch in Wahrheit sind die neuen Züge in den Niederlanden alles andere als schnell, und sie haben einen Nachteil: Sie haben keine Toilette. Das führt zu Problemen – bei den Reisenden ebenso wie beim Zugpersonal. Denn was macht mann/frau, wenn er/sie im Sprinter unterwegs ist und mal muss? Antwort: In einen Plastiksack pinkeln. Die niederländischen Eisenbahnen kündigten diesen Plan nun allen Ernstes an.
Sie wollen künftig an die Reisenden in den Sprinter-Zügen Plastiksäcke verteilen, damit diese im Notfall ihren Urin darin deponieren können. Für den Vorgang soll es ein eigens reserviertes Zugabteil geben. Der Plastiksack als Toilettenersatz – das mag für männliche Reisende ja gerade noch praktikabel sein. Frauen aber dürften nicht begeistert darüber sein, dass ihnen so etwas von den niederländischen Eisenbahnen zugemutet wird.
Züge blieben bis zu vier Stunden stecken
Hintergrund der WC-freien Sprinterzüge: Als das Haager Verkehrsministerium und die niederländischen Eisenbahnen die Züge bestellten, wollte man Geld sparen. Die sparwütigen Beamten dachten, im Sprinter-Zug ist der Passagier nicht länger als 40 Minuten unterwegs. Da sollte doch kein Toilettengang fällig werden. Also bestellten sie 140 nagelneue Sprinter-Züge – und alle habe sie keine Toilette. Was sich inzwischen als eine krasse Fehlentscheidung erwiesen, die zum Himmel stinkt und realitätsfremd erscheint. Denn immer wieder kommt es vor, dass beispielsweise Kinder oder alte Menschen das Wasser nicht mehr halten können und im Zug urinieren müssen. Noch schlimmer ergeht es dem Zugpersonal. Das arbeitet in der Regel in einer Acht-Stunden-Schicht – und kann acht Stunden lang nicht aufs Klo. Ein Horror.
Noch schlimmer wird es, wenn das eintritt, was auf dem niederländischen Schienennetz häufig passiert. Die Züge haben Verspätung – oder aber sie bleiben auf offener Strecke liegen, so wie im vergangenen kalten und schneereichen Winter, als vielerorts in den Niederlanden die Gleisstellwerke eingefroren waren, weil sie nicht beheizt sind. So mancher Zug bliebe dann auf der Strecke einfach stehen. Manchmal bis zu vier Stunden lang.
Unmenschlicher Zustand
Das männliche Sprinter-Zugpersonal kommt inzwischen mit leeren Flaschen zur Arbeit, in die der Urin bei Bedarf abgefüllt wird. Die Eisenbahner-Gewerkschaft macht inzwischen mobil. Sie forderte Verkehrsministerin Melanie Schultz van Haegen auf, diesen unmenschlichen Zustand in den Sprinter-Zügen zu beenden und nachträglich Toiletten in alle 140 Sprinter-Züge einbauen zu lassen. Doch die Verkehrsministerin weigerte sich. „Zu teuer“, lautete ihre Antwort. Die Züge mit Toiletten nachzurüsten, würde zwischen 90 und 100 Millionen Euro kosten.
Stattdessen ließ die Ministerin ihre Beamten und die niederländische Eisenbahn nach anderen Lösungen suchen. Die Vorschläge: Mehr Toiletten auf den Bahnsteigen bauen, an die Sprinterzüge einen Toilettenwagen anhängen, und – die Plastiksack-Lösung. Für diese hat sich die niederländische Eisenbahn nun entschieden. ,,Plaszak,‘‘ also ,,Pinkelsack‘‘, für Passagiere heißt nun die Devise für Reisende. ,,Aber die ist wirklich nur in Notfällen anzuwenden“, ließen die niederländischen Eisenbahnen wissen.
Zugreisen anno 2011
Inzwischen hat sich sogar das niederländische Parlament mit dem Toiletten-Notstand befasst. Mit überwältigender Mehrheit entschieden die 150 Abgeordneten quer über alle Parteigrenzen hinweg, dass spätestens im Jahr 2015 in den Niederlanden alle Züge eine Toilette haben müssen. 2015 – das ist noch lange hin. Bis dahin wird der Pinkelsack wohl mit zur Grundausstattung eines Zugreisenden gehören. Was aber macht dieser Reisende, wenn er in einem Sprinter-Zug sitzt und einmal mehr muss als nur pinkeln? Darauf haben weder die niederländischen Eisenbahnen noch das Haager Verkehrsministerium bisher eine Antwort gefunden. Zugreisen in Holland anno 2011.