Bennington und Co.: Warum werden so viele Stars süchtig?
Nach dem Tod von Chester Bennington klärt ein Psychologe auf: Warum werden Künstler immer wieder von Drogen aus der Bahn geworfen?
Berlin.
Am Tag nach dem Tod von Chester Bennington trauern Tausende Fans und viele, viele andere Musiker um einen feinen Menschen und ein außergewöhnliches Talent. Doch der Linkin-Park-Frontmann war nicht der erste Musiker, dem Depressionen und eine Suchtproblematik zu schaffen machten, ihn offenbar sogar zum Selbstmord trieben.
Prof. Dr. Michael Klein vom Deutschen Institut für Sucht- und Präventionsforschung in Köln ist Experte für Suchtpsychologie und hat schon mit vielen teils prominenten Künstlern zusammengearbeitet. Uns hat er erklärt, warum es unter Künstlern immer wieder zu Drogenproblemen kommt.
Nach Sterbefällen von Schauspielern, Musikern oder anderen Künstlern folgt nicht selten die Nachricht, dass der Tod etwas mit Drogen, Medikamenten oder Alkohol zu tun hatte. Nehmen wir diese Fälle nur besonders wahr, weil sie in der Öffentlichkeit spielen, oder sind Promis besonders gefährdet?
Klein: Nach allem, was wir wissen, ist der Konsum von Drogen in diesen Kreisen weiter verbreitet als in der Gesamtbevölkerung. Er ist aber auch nicht höher als in anderen Risikogruppen, Jugendliche mit ADHS zum Beispiel oder depressive Frauen. Letztendlich muss man aber sagen, dass Prominente eine Risikogruppe für Suchtstörungen und –folgen sind.
Allerdings ist es ja eher untypisch, dass jemand wegen seines Drogenkonsums prominent wird. Also müsste die Gefährdung irgendwo auf dem Weg zur Prominenz anfangen.
Klein: Natürlich, wobei es durchaus auch Fälle gegeben hat, in denen Menschen durch ihren nonkonformistischen Lebensstil, der auch mit Drogenkonsum zu tun hat, bekannt geworden sind. Aber der Normalfall ist, dass jemand wegen seiner Fähigkeiten zu Prominenz gelangt und dann einen riskanten Konsum entwickelt. Oft wird daraus auch ein Muster, bei dem er mit diesem Konsum nicht zurechtkommt. Man kann sagen, dass Prominenz eine große Herausforderung und auch einen Stressfaktor darstellt, der viele Prominente von ihrer Persönlichkeit und Stabilität her nicht gewachsen sind.
Was ist am Promi-Dasein denn so gefährlich?
Klein: Manche kommen mit der Bewunderung nicht zurecht, weil sie, umgangssprachlich gesagt, keine kleinen Brötchen mehr backen wollen. Da spricht man von einem narzisstischen Motiv: Ich werde endlich bewundert, es darf auf keinen Fall aufhören, ich will immer mehr davon. Elvis Presley ist so ein Typ gewesen. Er wollte unbedingt daran festhalten, berühmt und prominent zu sein. Manche kommen aber auch einfach mit dem Stress nicht zurecht, wollen alles mitnehmen, überfordern sich damit. Im Übrigen trifft das auch öfter auf Politiker zu. Es gibt Untersuchungen unter Bundestagsabgeordneten, die zeigen, dass der Alkohol- und Drogenkonsum auch in dieser Gruppe überdurchschnittlich hoch ist.
Und es gibt Künstler, die auf Drogen setzen, um kreativer zu werden.
Klein: Auch das, aber das kann man im Wesentlichen auch zu den narzisstischen Motiven rechnen. Gerade über die, die schon eine längere Zeit prominent und erfolgreich waren und dann wegen einer kreativen Krise auf Substanzen zurückgreifen, gibt es schon viel Forschung. Das findet man oft unter Schriftstellern, Ernest Hemingway ist so ein Fall gewesen, auch Truman Capote. Man erhofft sich von einer bestimmten Substanz, dass man dank ihr an alte Kreativität und an alte Erfolge anknüpfen kann. Was natürlich ein Trugschluss ist. Mittel- und langfristig wird niemand dadurch besser.
Gibt es eine Droge, die besonders verbreitet, die besonders gefährlich ist?
Klein: Es kommt ganz darauf an, was derjenige damit bewirken will. Opiate und Alkohol etwa werden zur Stressreduktion eingesetzt. Und sie wirken natürlich auch gegen Angst. Wenn Sie zum Beispiel an Harald Juhnke denken – es gibt Berichte, in denen es heißt, dass er trotz 40-jähriger Bühnenerfahrung immer noch Lampenfieber hatte. Andere wiederum nehmen eher Kokain oder Amphetamine, also Stimulantien, zum Aufputschen. Und natürlich gibt es noch viele andere relevante Substanzen, etwas Halluzinogene wie LSD, die einen kreativen Schub versprechen.
Spielt Geld eine Rolle?
Klein: In der Wissenschaft gehen wir von drei Faktoren aus, die Sucht begünstigen können. Zum einen biologische Anlagen, dann Persönlichkeitsfaktoren, dazu zählen ADHS oder Depressionen, und letztlich ist es auch einfach die Verfügbarkeit. Wenn ich es mir leisten kann, wenn ich mit anderen Prominenten zusammen bin, die sich das auch leisten können, ist die Versuchung zum Konsumieren viel stärker. Stellen Sie sich vor, sie gehen mit der Band auf Tour oder auf Festivals. Die Veranstalter und Manager dort stellen die Getränke, jeden Abend, wochenlang. Sicher hat sowas auch Einfluss.
Gerade in den letzten Jahren ist durch die Medien ja noch eine neue Gruppe Prominenter dazu gekommen, nennen wir sie mal Trash- oder B-Promis. Ist das nicht besonders gefährlich, wenn man schnell hochgejubelt, aber auch schnell wieder fallen gelassen wird?
Klein: Sicherlich spielt es eine Rolle, dass alles schnelllebiger und weniger fundiert geworden ist. Da hat natürlich auch das Internet großen Einfluss. Heute können Sie ja mit einem einzigen Youtube-Clip berühmt werden. Dazu kommt, dass es dort viele junge Menschen zu Berühmtheit bringen, die sich dafür nicht wirklich intensiv angestrengt und „gequält“ haben. Diese Leichtigkeit des Erfolges und des anschließenden Abstiegs charakterlich zu verkraften, ist schwierig.
Also ist es kein Zufall, dass der „Club 27“ immer größer wird? Jimi Hendrix, Jim Morrison, Kurt Cobain, Amy Winehouse und noch viele andere große Künstler wurden nur 27 Jahre alt.
Klein: Die Zahl ist natürlich purer Zufall. Aber das Phänomen hat System und zeigt, dass da sehr junge, sehr talentierte Menschen schnell berühmt geworden sind, dann aber viel Einsamkeit, Selbstzweifel, Stress, Depression und Angst erlebt haben. Sie konnten zum Teil nicht mehr unterscheiden: Wer mag mich wirklich? Wer mag mich nur wegen meiner Prominenz oder wegen meines Geldes? Gerade die Musikszene ist da auch ein Sonderfall. Viele Musikrichtungen sind ja auch als Ausdruck einer nonkonformistischen Haltung entstanden, Rock ‘n‘ Roll ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Da gehörte Substanzkonsum einfach dazu, und ohne Drogen erlangte man keine Prominenz.
Sind Menschen mit großem Talent besonders gefährdet?
Klein: Ja, mit Sicherheit und aus mehreren Gründen. Zum einen bringt sie großes Talent dazu, Grenzüberschreitungen zu wagen, im Denken, im Fühlen und im Verhalten. Neues ausprobieren zu wollen, Experimente zu wagen, dazu sind diese Menschen geradezu prädestiniert. Außerdem bringen sie nicht selten auch entsprechende innovativ wirkende Persönlichkeitsfaktoren mit sich. Unter Kreativen gibt es viele hyperaktive Menschen, sonst wären sie auch nicht so gut, das erzeugt gerade ihre Kreativität. Die Kreativen, die ich in Therapien erlebt habe und die nicht berühmt geworden waren, waren zum Teil höchstbegabt, vielleicht talentierter als viele Stars. Aber sie hatten nicht den Durchbruch, was neuerliches Leiden schafft.
Sie selbst haben auch mit Prominenten gearbeitet. Gibt es in deren Kreis ein Problembewusstsein dafür, dass sie eine Risikogruppe bilden?
Klein: Der Substanzkonsum und die Suchtentwicklung werden – wie bei anderen Menschen auch – erst mal lange verdrängt und vor allem auch geleugnet. Das gehört nun mal zur Suchtkrankheit dazu. Es entsteht eine Menge Scham, man will das alles eigentlich nicht sein. Mein Eindruck ist, dass die Scham bei Prominenten zum Teil noch größer ist, weil die Erkenntnis, ein Süchtiger zu sein, nicht damit zusammenpasst, dass ich ja ein Promi, dass ich etwas Besonderes bin. Ich glaube, dass unter Prominenten die Einsicht und der Wille zur Veränderung später als bei vielen anderen Suchtkranken einsetzen. Oder eben gar nicht. Und dies bedingt dann auch die häufigeren Drogennotfälle, Suizidversuche und Todesfälle.
Heißt es dann nicht auch, dass die Manager und Agenten der Promis ihren Job schlecht machen? Eigentlich müsste therapeutische Begleitung doch normal sein.
Klein: Ich denke, da wächst die Sensibilität, auch unter Managern. Man will schließlich sein Zugpferd nicht verlieren. Es gibt auch etliche Prominente selbst, die für sich erkennen, dass es so nicht weitergeht, und Psychotherapie suchen. Das bleibt dann immer natürlich sehr diskret, ganz wenige sprechen darüber. Dies ist aber völlig okay, denn es geht bei Psychotherapie um Hilfe und nicht um die Öffentlichkeit. Es ist nach wie vor ein riesiges Tabu-Thema. Manchmal wird es dann auch einfach Coaching genannt, weil sich das nicht ganz so klinisch anhört.
Also bekommen wir von der wirklichen Anzahl der Süchtigen unter Promis nur wenig mit?
Klein: Zumindest gehe ich davon aus, dass die Quote der Promis mit Therapie-Erfahrung ziemlich hoch ist, in der modernen Musikszene vielleicht sogar über 50 Prozent. Aber es wird halt immer noch tabuisiert und gelangt damit nicht in das öffentliche Bewusstsein.