Bochum.
Was man bei einem Mordprozess bisweilen aus den Augen zu verlieren droht, sind die Opfer.
In den letzten Wochen drehte sich im Prozess gegen den mutmaßlichen Doppelmörder Marcel Heße alles um die Frage: Wie tickt der 20-Jährige? Ist er schuldfähig? Immer wieder ging es um die psychologischen Gutachten und darum, ob Marcel Heße eine Reifeverzögerung aufweist oder nicht. Völlig gut und vollkommen richtig, wenn es für das Gericht darum geht, ein gerechtes Urteil zu finden.
„Christopher ein Mensch war, den wir alle sofort ins Herz geschlossen hätten“
Die Plädoyers der Nebenklage-Vertreter vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Bochum haben am Donnerstag aber vor allem noch einmal vor Augen geführt, dass es zwei Menschen einfach nicht mehr gibt – und dass zwei Familien und viele Freunde massiv leiden, vielleicht ein Leben lang.
„Es ist einem Gerichtsverfahren immanent, dass der Fokus auf den Täter gerichtet ist“, sagt Rechtsanwältin Nicola Skoberne, die Michaela W, die Mutter von Heßes zweitem Opfer Christopher W., vertritt.
„Wir wollen den Fokus auf Christopher richten, den ich leider nie kennenlernen durfte“, so Skoberne. Sie habe nicht nur mit seiner Mutter, sondern auch mit seinen zahlreichen Freunden gesprochen, und sie glaube, dass „Christopher ein Mensch war, den wir alle sofort ins Herz geschlossen hätten.“
Schilderung treibt Zuschauern Tränen in die Augen
Der 22-jährige hatte das Asperger-Syndrom, eine leichte Form des Autismus, lebte aber selbstständig und hatte eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann absolviert – „für seine Mutter, um ihr zu zeigen, dass er es kann“, so Skoberne.
Und dann erzählt sie eine Anekdote über Christopher, die vielen im Zuschauerraum die Tränen in die Augen trieb: „Einmal sah er einen Obdachlosen in der Herner Innenstadt, der ein Schild vor sich hatte: Nehme auch was zu essen, stand darauf“. Christopher habe ihm gesagt, dass er gleich nochmal vorbeikomme.
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„Er ist nach Hause geeilt, hat sein berühmtes Curry-Geschnetzeltes gekocht, hat noch ein Yes-Törtchen und einen Schokopudding eingepackt, hat sich zu dem Obdachlosen gesetzt und mit ihm zusammen gegessen.“
Katze Lilli starb im Feuer
Er habe seinen großen Freundeskreis zusammengehalten, der nach Christophers Tod zerbrochen sei. Und seine Katze Lilli habe er abgöttisch geliebt. „Wenn die Katze auf seinem Bauch schlief, hat er sich so lange nicht bewegt, bis Lilli von selbst aufwachte“, erzählt Skoberne. Die Katze starb im Feuer, das Marcel Heße in Christophers Wohnung gelegt hatte, bevor er sich der Polizei stellte.
„Der Angeklagte hat seinen vielleicht einzigen wahren Freund ermordet“, so die Anwältin. Die Reue, die Heße zuletzt in einem Brief an seine Mutter gezeigt hatte, werte sie als pure Berechnung. „Beim Adhäsionsverfahren hätte er zeigen können, dass er irgendetwas für die Hinterbliebenen tun möchte. Aber er ist mit aller Vehemenz gegen die Anträge vorgegangen.“
„Der Brief trieft vor Selbstmitleid“
Bernhard Peters, der Jeanette R., die Mutter des getöteten Jaden (†9) vertritt, sieht das ähnlich. „Der Brief trieft vor Selbstmitleid. Es geht nur um ihn selbst.“
Marcel Heße sei ein „Lügner, ein Hochstapler, ein Wichtigtuer“, so Peters. Es sei oft gesagt worden, dass es dem Angeklagten an Empathie mangele: „Aber das Wort Kaltherzigkeit trifft es besser.“
Sicherungsverwahrung auf unbestimmte Zeit
Jaden sei ein wunderbares Kind gewesen, das viele Freunde hatte. Es sei schrecklich, wenn man sich vorstelle, wie sehr dieses Kind habe leiden müssen.
Alle Nebenklägervertreter folgen dem Antrag der Staatsanwaltschaft, Michael Heße nach Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen. Heße war bei der Tat 19 Jahre alt. Dass ein derart junger Täter nicht nach Jugendstrafrecht verurteilt wird, ist extrem selten.
Nach Jugendstrafrecht droht Heße eine Höchststrafe von 15 Jahren bekommen. Allerdings kann dann eine Sicherungsverwahrung auf unbestimmte angeordnet werden.
Das Urteil wird für den 31. Januar erwartet.