Fußball-Schiedsrichter Christian Fischer kennt die Suche nach exklusiven Fehlern in seinem Job. Und er kennt die darauf folgende Medien-Lawinen. „Der Mediendruck ist enorm geworden“, sagt Linien- und Zweitliga-Schiedsrichter Christian Fischer. Trotzdem hat der Unparteiische aus Hemer Spaß an seinem Job.
Hemer.
Rot. Daran erinnert sich Christian Fischer noch genau. Der Kreis um seinen Kopf war rot. „Das sah aus wie auf einem Fahndungsfoto“, sagt er. Mehr nicht. Denn an den Tag, als ihm der Boulevard in großen, bunten Buchstaben eine gehörige Sehschwäche vorwarf, an diesen Tag will sich Fischer am liebsten nicht erinnern. Gar nicht mehr.
Einige Jahre ist es mittlerweile her, dass Fischer höchst öffentlich an den Pranger gestellt wurde. Weil er, der Fußball-Schiedsrichter aus Hemer, in einer Bundesliga-Partie zwischen Werder Bremen und dem 1. FC Kaiserslautern als Linienrichter einen Ball nicht im Tor gesehen hatte – „als einziger im gesamten Stadion“, hieß es damals schonungslos.
„Der Mediendruck ist enorm geworden“
Christian Fischer kennt ihn also, diesen Druck, über den seit gut zwei Jahren landauf, landab im Fußball diskutiert wird. Nachdem sich der depressive Nationaltorwart Robert Enke das Leben nahm, nachdem der ausgebrannte Trainer Ralf Rangnick seine Arbeit beim FC Schalke 04 beendete, und nachdem der depressive Schiedsrichter Babak Rafati vor eineinhalb Wochen einen Selbstmordversuch nur knapp überlebte.
Lastet wirklich ein derart hoher mentaler Druck auf den Menschen im Mikrokosmos Bundesliga, dass die Psyche einiger daran zerbricht?
„Der Mediendruck ist enorm geworden“, sagt Christian Fischer. „Früher“, erklärt der 41-jährige Oberstudienrat, „früher bist du vom Platz gegangen und hattest ein Gefühl. Das war gut oder schlecht.“ Heute jedoch sezieren die verschiedensten Fernseh-Sendungen, Zeitungen oder Nachrichtenportale im Internet weit über 24 Stunden später einzelne Spielszenen. „Die Suche nach einem exklusiven Fehler ist extrem geworden und geht sogar soweit, dass Dinge behandelt werden, die nicht einmal der offizielle DFB-Beobachter wahrgenommen hat“, sagt Fischer.
Es um Millimeter und der Reporter sagt: „Klare Sache“
Kommentare zu knappen Abseitsentscheidungen fuchsen ihn am meisten. „Da geht es um Millimeter und der Reporter sagt: ,Klare Sache, das hätte der Linienrichter sehen müssen.’ Dann soll der sich mal 90 Minuten dahin stellen.“ Gerade in schlechten Phasen, wenn sich ein Schiedsrichter mehrere Fehler in Folge leistet und diese angeprangert werden, „kann sich ein wahnsinniger Druck aufbauen“, erzählt Fischer. „Aber mit dieser Lawine muss jeder selbst klarkommen.“
Doch es sind nicht nur die Medien, die Schiedsrichtern zusetzen. Es ist auch die Beobachtung durch den Deutschen Fußball-Bund und die anschließende Spielbesprechung, die für eine weitere Drucksituation sorgt.
„Nur eine gute Beobachtung sichert viele Ansetzungen und nur durch viele Ansetzungen bekommt man die nötige Sicherheit“, erklärt der Hemeraner. Er übt sogar verhalten Kritik: „Manchmal fehlt mir bei den Beobachtern der Blick für das Gesamtspiel. Trainer, Spieler, Zuschauer und Schiedsrichter sind zufrieden, doch der Beobachter sucht penibel auch den kleinsten Fehler.“ Professionelle Hilfe, um den riesigen Druck verarbeiten zu können, bietet der Verband seinen Unparteiischen jedoch nicht an. „Sollte ein Kollege privat etwa einen Psychologen besuchen, würde es wohl niemand öffentlich zugeben“, sagt Fischer. Denn: „Ein Schiedsrichter muss doch stark sein…“
„Es macht mir immer noch Spaß“
Eines ist ihm allerdings wichtig: Fischer will für die ihren Job freiwillig ausführenden und vergleichsweise mickrig bezahlten Schiedsrichter kein Mitleid erhaschen oder gar den Leistungsgedanken verteufeln. „Natürlich muss der im Vordergrund stehen.“ Wird er gefragt, warum er sich all das noch antue, dann antwortet Fischer: „Weil ich viele tolle Situationen hatte und weil es mir immer noch Spaß macht.“ Ihm – und den meisten seiner Kollegen auch. Rote Kreise und Tomaten auf den Augen hin oder her.