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Wie Rudi Brinkmann sich ins Leben zurückkämpft

Wie Rudi Brinkmann sich ins Leben zurückkämpft

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Foto: Jakob Studnar
Der pensionierte Lehrer erlitt bei einem Radunfall ein Schädel-Hirn-Trauma. Das ist jetzt ein halbes Jahr her.

Duisburg. 

Rudolf Brinkmann sitzt in seinem Wintergarten am runden Tisch, pfeift fröhlich vor sich hin, das hilft ihm, sich zu konzentrieren. Vorsichtig schiebt er bunte Holzklötzchen zu Mustern zusammen, Rauten, Kreuze, Linien und Vierecke. Ergotherapeutin Yvonne Froitzheim strahlt, weil es so schnell klappt, Rudi Brinkmann (66) strahlt, weil Frau Froitzheim sich freut und Ehefrau Charlotte ihn lobt: „Rudi, heute bist du aber gut drauf!“ Dabei ist es genau ein Jahr her, dass Rudolf Brinkmann aus Duisburg-Walsum auf einem abschüssigen Waldweg mit seinem Fahrrad lebensgefährlich stürzte und mit einem Schädel-Hirn-Trauma der Stufe drei in die Unfallklinik eingeliefert wurde. Von den Ärzten wagte damals keiner eine Prognose. Für Brinkmanns Frau jedoch stand immer fest, dass er sich ins Leben zurückkämpfen wird. Sie sollte recht behalten.

Die Katze auf dem Pflegebett

Es wird Tee getrunken im Wintergarten in Walsum, die Katze Maja schnarcht auf der gelben Decke des verlassenen Pflegebetts, unten steht eine Kiste mit Holzspielzeug, das der polnische Pfleger Daniel gemeinsam mit Rudi Brinkmann zusammengeschraubt hat.

Der pensionierte Lehrer für Mathe und Physik fängt jenseits von Winkelfunktionen und Ableitungen wieder ganz vorne an, und er bietet heiter und gelassen dem Schicksal die Stirn. „Trinken, Rudi“, sagt Charlotte Brinkmann (56) mit sanftem Nachdruck, dann fragt sie ihn: „Wie heißt die Katze? Und weißt du auch, wie ich heiße?“ „Schokolade“, antwortet ihr Mann und lacht sich kaputt, weil er weiß, dass seine Frau zwar so nicht heißt, das Wort aber so ähnlich klingt. Charlotte lacht mit: „Sich wieder an Namen zu erinnern, sagen die Fachleute, ist das Schwierigste!“

Charlotte Brinkmann, Diplom-Pädagogin und Romanautorin, hatte der NRZ kurz nach dem verhängnisvollen Unfall vor einem Jahr eine Email geschrieben und darum gebeten, doch einen Appell an alle Radfahrer zu veröffentlichen, stets mit Helm zu fahren. Dann folgten Monate zwischen Hoffen und Bangen. Ihr Mann lag im Koma, wurde mehrfach operiert, die Schädeldecke geöffnet und wieder mit Platte und Schrauben verschlossen. Jenes Röhrchen, auch heute noch unter der Haut sichtbar, leitet vom Kopf bis in den Bauch das überflüssige Gehirnwasser. Nach Monaten in Kliniken und der Reha kam Rudi, der passionierte Radler, Greenpeace-Aktivist und Hobbywerker, wieder nach Hause. Als hochgradiger Pflegefall.

Damals haben wir ihn ein erstes Mal besucht. Charlotte Brinkmann hatte das Pflegebett im Wintergarten aufbauen lassen, damit Rudi in den Garten schauen kann. Kann er sich heute überhaupt an die Zeit erinnern, als er nur mithilfe eines Lifters aus dem Bett in den Rollstuhl gehoben werden konnte und seine Frau ihn gemeinsam mit einem Pflegedienst rund um die Uhr betreuen musste? An den Unfall selbst, an Klinik und Reha? An den Besuch der NRZ?

Rudi Brinkmann schüttelt den Kopf. „Überhaupt nicht, an nichts“, sagt er. Weder an die Schmerzen, noch das unkontrollierte Zittern, das ihn bei Aufregung überfiel. Zu der Zeit musste seine Frau geradezu hellseherisch herausfinden, was er brauchte, wo es wehtat, wie sie ihm helfen konnte: „Ich hatte meinen Körper verlassen. Ich bin spazieren gegangen, im Garten, im Park, bin auch Rad gefahren. Wieder zurückgekehrt hier in den Wintergarten – bin ich erst im Februar“.

Schon vorher hat Charlotte Brinkmann alle Register gezogen, hat sich von Freunden helfen lassen, mit den Krankenkassen verhandelt, hat Logopäden, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten mobilisiert und sogar einen alternativen Heiler, der Rudis Genesung mit Handauflegen begleitet. Pfleger Daniel, der sie täglich unterstützt, bezahlt sie zum großen Teil aus eigener Tasche, und sie weiß, dass sie von Glück sagen kann, eine Unfallversicherung abgeschlossen zu haben, die die finanziellen Aufwendungen abfedert. Doch das Wichtigste war, sich selbst und ihren Mann nie aufzugeben: „Ich habe immer gewusst, das wird wieder“.

Heute steigt Rudi selbst aus dem Bett. Mit dem Rollator schaffen es beide bis zur Bushaltestelle und zum Hausarzt. Rudi isst und trinkt selbstständig, auch wenn „ihm mal eine Kartoffel ins Glas fällt…“, und absolviert mit Ergotherapeutin Yvonne sein Bewegungstraining. Schultern kreisen, Fuß kreisen – im Stehen! – Arme kreisen, Kopf drehen und Wintergartenvolleyball mit dem gelben Luftballon.

„Alles, was geschieht, hat auch einen Sinn“, sagt die praktizierende Buddhistin Brinkmann. Rudi, der früher ein „Workaholic“ gewesen sei, sei nun auch glücklich, einfach den Garten zu beobachten, die Katze zu streicheln oder „neben mir meine Hand ganz fest zu drücken und sich was Lustiges im Fernsehen anzusehen“.

Noch einmal zur Schwarzen Heide

Am 15. Juni, ein Jahr nach dem schweren Unfall, sind die beiden noch einmal nach Kirchhellen zur Schwarzen Heide gefahren, haben sich den Elchweg angeschaut, dessen verhängnisvolle Sandkuhle nun mit festem Schotter verfüllt ist, so dass Radler nicht mehr stürzen können. Charlotte Brinkmann hat ihren Mann fotografiert, da steht er lächelnd, eine Kappe auf dem verwundeten Kopf. Und Rudi hat sie wiedererkannt, die Strecke, auf der er wohl hundert Mal entlanggefahren ist. Der Unfalltag jedoch ist wie ausgelöscht. Vielleicht wird er sich eines Tages erinnern, vielleicht aber auch nicht.

Aber das spielt keine Rolle mehr.