Veröffentlicht inReise

Bei den Amisch das Leben wie vor 250 Jahren entdecken

Bei den Amisch das Leben wie vor 250 Jahren entdecken

Amisch USA.JPG
Auf der Flucht vor religiöser Unterdrückung wanderten die Vorfahren der Amisch aus den Rheinlanden im 18. Jahrhundert in die USA aus. An ihrem Lebensstil hat sich seitdem kaum etwas geändert: Die meisten Gläubigen verzichten auf Maschinen und Elektrizität und sprechen noch immer einen deutschen Dialekt.

Essen. 

Amische sind in die Schlagzeilen geraten. Ein Überfall von Mitgliedern einer ultraorthodoxen Gemeinde aus Bergholz/Ohio auf weniger fanatische Gläubige, denen die Bärte abrasiert wurden, ahndete ein US-Gericht als „Hassverbrechen“ mit langjährigen Haftstrafen. Die Nachfahren deutscher Auswanderer leben auch heute noch in einer abgeschiedenen Welt und ohne moderne Technik. Besuche sind dennoch problemlos möglich und gewähren Einblicke in eine 250 Jahre alte Glaubenswelt.

Graue und schwarze Pferdekutschen auf den Landstraßen, die Männer im dunklen Anzug, mit Strohhut und Backenbart, die Frauen in gedeckter Kleidung, mit Schürze und Haube für die Haare. Nur eineinhalb Autostunden südlich der Metropole Cleveland am Ufer des Erie Sees erstreckt sich das beschauliche Holmes County mit Feldern, Wiesen, Dörfern und eingestreuten Bauernhöfen. Hier leben einige Zehntausend Amische und Mennoniten unterschiedlicher Glaubensausrichtung. Ihre Vorfahren, die ihre Wurzeln in der reformatorischen Täuferbewegung hatten, sind vor gut 250 Jahren aus den Rheinlanden auf der Flucht vor religiöser Unterdrückung in die USA ausgewandert.

Viele lehnen Maschinen und Elektrizität ab

Sie sprechen untereinander noch heute in einem Dialekt, der dem Pfälzischen ähnelt, werden nach ihrer ersten Siedlungsregion in den USA meist „Pennsylvania German“ genannt und die Familien heißen Wurthmann, Schrock oder Lehman. Die meisten lernen auch in der achten Auswanderergeneration zunächst Deutsch. Englisch wird erst an der Dorfschule als Fremdsprache unterrichtet.

An ihrer Lebensweise hat sich seit dem 18. Jahrhundert nur wenig geändert. Viele lehnen nach wie vor Maschinen, Elektrizität oder das Fernsehen ab. Sie bewirtschaften ihr Land mit Pferden, zahlen keine Steuern, gehen nicht zu Wahlen und nicht zum Militär. Fremde werden misstrauisch beäugt, doch wer ihr Vertrauen erlangt und die Regeln nicht missachtet, erfährt viel über ihr Leben und darf daran teilhaben – in der Bäckerei, auf dem Markt, in der Schule.

Nach der Hochzeit rasieren sich Männer nicht mehr 

Bei den rigiden „Old Order“ Amischen sind sogar Knöpfe an der Kleidung verpönt, sie schließen Jacken und Hemden mit Nadeln oder Spangen. Elektrizität ist für sie Teufelszeug. Gas oder Kerosin wird zum Heizen, Kühlen oder Beleuchten verwendet. Ihre pechschwarzen Pferdekutschen haben nicht einmal kleine Fenster nach hinten oder an den Seiten, weil dies zu ungebührlicher Neugier herausfordern würde. Andere, wie die moderaten Beachy Amisch, nutzen Trecker für die Feldarbeit oder sogar Autos als Fortbewegungsmittel. Wichtig ist bei allen die Gemeinschaft, der die jugendlichen „Rumspringa“ erst nach ihrer Taufe mit etwa 15 Jahren als volle Mitglieder beitreten.

Sollte ein Bauernhof durch Blitzeinschlag abbrennen, tritt keine Versicherung auf den Plan. Die Gemeindemitglieder kommen zusammen und bauen die Gebäude in Nachbarschaftshilfe in kürzester Zeit gemeinsam wieder neu auf. Junge Paare heiraten zwischen September und dem Ende des Jahres. Danach besuchen sie für einige Zeit Verwandte auf deren Höfen und erhalten dort ihre Hochzeitsgeschenke. Im Frühling kommen dann alle zusammen und bauen der neu gegründeten Familie ein Haus mit Scheune und Ställen. Nach der Heirat rasieren sich die Männer nicht mehr und lassen ihre Bärte wachsen. Ein Abschneiden wird im übrigen als tiefe Erniedrigung empfunden.

90 Prozent der Jugendlichen entschließen sich zur Taufe

Die Amischen und Mennoniten gehören zu den stabilsten Religionsgemeinschaften in den USA, auf eine Familie kommen im Durchschnitt sechs bis sieben Kinder. Beim Bäcker, im Restaurant oder auf dem Kirchgang ist der Anblick junger Frauen von nicht einmal 25 Jahren mit drei oder vier kleinen Kindern keine Seltenheit. In Holmes County/Ohio leben 40.000 strenggläubige Amische und Mennoniten, in Lancaster County nicht weit von Philadelphia noch einmal so viele.

Inzwischen gibt es in anderen Regionen von Ohio und Pennsylvania, aber auch in New York, Iowa und Wisconsin mehrere Gemeinden mit 300 bis 1000 Mitgliedern. Wer sich als Jugendlicher nicht taufen lässt und damit der Gemeinde nicht beitritt, steht zwar unter großem moralischen Druck, hat aber keine Repressalien zu erwarten. Wer sich jedoch später als getauftes Mitglied dazu entschließt, die Gemeinde zu verlassen, wird von ihr verstoßen und selbst von den eigenen Eltern oder den Geschwistern nicht mehr beachtet. Doch fast 90 Prozent der 13- bis 15-Jährigen entschließen sich letztlich zur Taufe und vergrößern damit als vollberechtigtes Mitglied die jeweilige Gemeinde.

Bewusster Verzicht auf die Moderne

Das Leben der Amischen und ihr bewusster Verzicht auf die moderne Technik erscheinen in der heutigen Zeit wie ein Anachronismus.

Ihre selbstbewusste Lebensweise erscheint für Besucher wie ein selten möglicher Blick in eine sonst vergangene Welt. Ihr gelebter Gemeinschaftsgedanke erscheint vielen in einer immer mehr auf individueller Konkurrenz gegründeten Gesellschaft als besonders attraktiv. Kein Wunder, dass Bus- und Besichtigungstouren mit dem Buggy durch das „Amish County“ von Ohio so beliebt sind.