Veröffentlicht inReise

Das deutsche New York

Das deutsche New York

Wo gibt es noch mal Currywurst? Auf der 1th Avenue? Die gebürtige Erfurterin Sigrid Swaney, 72, läuft zielstrebig darauf los – in Richtung einer Imbissbude, die eingequetscht liegt zwischen Zeitungskiosk und Asia-Shop. Die Deutsche isst oft hier. Wenn sie mal wieder richtigen Heißhunger hat auf den Geschmack ihrer alten Heimat: auf Thüringer Bratwurst, Sauerkraut, Grünkohl. Oder eben Currywurst.

New York (dapd). Wo gibt es noch mal Currywurst? Auf der 1th Avenue? Die gebürtige Erfurterin Sigrid Swaney, 72, läuft zielstrebig darauf los – in Richtung einer Imbissbude, die eingequetscht liegt zwischen Zeitungskiosk und Asia-Shop. Die Deutsche isst oft hier. Wenn sie mal wieder so richtigen Heißhunger hat auf den Geschmack ihrer alten Heimat: auf Thüringer Bratwurst, Sauerkraut, Grünkohl. Oder eben Currywurst.

All das gibt es bei Wechsler’s im East Village. Beim Reingehen weht dem Gast Pommesduft entgegen – und ein sympathischer Deutscher: André Wechsler. Früher hetzte er als unglücklicher Investmentbanker durchs Leben, erzählt er. Heute nennt er sich stolz Besitzer der bekanntesten Currywurst-Bude New Yorks. „German Wurst kannte hier fast niemand“, sagt Wechsler. Mittlerweile kämen sie sogar aus anderen Stadtvierteln, um die deutsche Wurst zu probieren. Sein Laden brummt – Deutschland verkauft sich gut in New York.

Kulinarisch muss in New York keiner Heimweh kriegen

Das deutsche New York ist ein spannendes Kapitel. So spannend, dass ein Geschäftsmann wie Volker Hanke, 44, davon gut leben kann. Hanke, ein Ostwestfale, bietet seit einigen Jahren mehrstündige Walking-Touren für deutschsprachige Touristen an. „Insightseeing“ heißt seine Firma, die er 1998 nach einem BWL-Studium mit einem Studienfreund gegründet hat. Wer will, kann durch den angesagten Meatpacking District schlendern, wo längst die Schlachter verschwunden und kreative Köpfe in vielen Galerien und Shops tätig sind. Touristen können sich auf die Spuren von „Sex and the City“ begeben, berühmte Musikkneipen New Yorks ansteuern oder durch Soho spazieren. Mit seiner gusseiserner Architektur, Galerien und Geschäften ist Soho schon lange kein Geheimtipp mehr, bleibt aber eine der reizvollsten Gegenden Manhattans. Auch das alte Auswanderungsviertel an der Lower East Side ist einen Besuch wert – dort siedelten sich früher viele Deutsche an. Bis heute finden sich Lokale wie die „Lederhosen Bar“ im Village, „Loreley“ in der Lower East Side, „Zum Schneider“ im East Village oder „Hallo Berlin“ in Midtown. In kulinarischer Hinsicht muss in New York keiner Heimweh kriegen.

Der Erbauer der Brooklyn Bridge war Deutscher

Currywurst-Fan Swaney führt ihre Gruppe von der Pommesbude raus an einen zugigen, beeindruckenden Ort: zur Brooklyn Bridge. Die imposante Eisen-Stahl-Konstruktion verbindet Manhattan mit Brooklyn. „Dieses Monument hat ein Landsmann von mir, der Thüringer Ingenieur Johann Augustus Roebling, erbaut“, sagt Swaney. Die Hängebrücke war zu diesen Zeiten ein Wunder der Technik und mit ihren 1833 Metern die längste Hängebrücke der Welt. Die Idee kam dem Thüringer, als er mit der Fähre über dem East River im Stau steckte. 16 Jahre dauerte es, bis er die Genehmigung für den riesigen Bau erhielt. Er starb noch während der Arbeiten, aber sein Sohn Washington vollendete das Lebenswerk des Vaters. Als die Brooklyn Bridge am 24. Mai 1883 eröffnet wurde, sei das wie ein „achtes Weltwunder“ gewesen, erzählt Swaney den Touristen. Allein am ersten Tag spazierten 150.000 Menschen über die Brückenpromenade. Heute brausen täglich über 100.000 Autos darüber.

Lower East Side ist „Little Germany“

Swaneys Tour führt unterhalb der 14th Street weiter durch den Norden der Lower East Side. „1750 kamen die ersten Deutschen hierher“, erzählt die Stadtführerin. Sie immigrierten nicht aus politischen oder religiösen Gründen. Sie waren vielmehr Bauern und daheim waren die Ernten schlecht. Bis heute nennen die New Yorker das Viertel „Little Germany“ – Kleindeutschland. Über 50.000 Deutsche lebten um 1840 hier. „Die meisten waren Handwerker, Bäcker, Tischler. Sie konnten was und halfen am Aufbau Amerikas wesentlich mit“, betont Swaney. „Deshalb haben sie einen guten Ruf – bis heute.“ Denn Deutsche kamen in der Regel nicht mit leeren Taschen in die Staaten. Sie brachten der Stadtführerin zufolge Geld mit, galten als fleißig, gut ausgebildet und handwerklich begabt.

Im Gegensatz zu anderen Nationalitäten – Chinesen bewohnen bis heute Chinatown, Italiener Little Italy – gibt es kein deutsches Viertel mehr in New York. „Entweder zogen die Einwanderer weiter in den Mittleren Westen, oder sie passten sich an. Es gibt uns Deutsche überall, nur fallen wir nicht auf“, erklärt Swaney. Wie gut assimiliert Deutsche in den USA sind, zeigt eine Volkszählung aus dem Jahr 2000: Sie ergab, dass allein 360.000 New Yorker deutsche Wurzeln haben.

Das deutsche New York, es folgt Gästen in der Metropole auf Schritt und Tritt. Selbst in der U-Bahn. Ein gepflegter älterer Herr fragt: „Where are you from?“ „München.“ „Ach…“, antwortet er. Plötzlich purzeln selten ausgesprochene Umlaute und harte Konsonanten aus seinem Mund. In all dem steckt eine alte Erinnerung: die von seiner Geburtsstadt Berlin und der Emigration im Jahr 1933.

dapd

2013-03-07 07:32:05.0