Gelsenkirchen. Werner Weist hat als Mittelstürmer in drei Jahren 34 Tore für Borussia Dortmund erzielt. Inzwischen ist er Fanartikel-Verkaufsleiter beim FC Schalke 04. Die Geschichte eines Dortmunder Jungen, den sie „Acker“ nannten.
Er läuft nicht mehr rund. „Knochen, Knie, Hüfte“, sagt Werner Weist und winkt ab.
Für einen wie ihn war Fußball immer auch Maloche, die Quittungen bekommt er jetzt, mit 60. „Wir haben früher wohl einiges falsch gemacht“, glaubt er. „Vielleicht waren wir auch nicht richtig austrainiert.“ Sie nannten ihn Acker damals, als Fußballern mit kämpferischer Qualität oder charakterlicher Originalität noch Spitznamen verpasst wurden. Acker – im Ruhrgebiet war das ein Adelstitel.
Die Rote Erde war sein Revier
Der Mittelstürmer Weist ackerte für Borussia Dortmund, als es noch kein Westfalenstadion gab. Die Rote Erde war sein Revier. Heute schaut er auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz auf eine hypermoderne Arena. Die Schalker Arena. Der ehemalige Torjäger des BVB arbeitet tatsächlich für dessen ewigen Rivalen.
Er ist „Leiter des Fan-Artikel-Außenverkaufs“, organisiert alle Stände rund ums Stadion, steuert eine Crew von 30 Mitarbeitern. Im Lager weiß er über jeden Kartoninhalt Bescheid. „Du kannst das beste Sortiment haben: Du verkaufst nichts, wenn die Mannschaft verliert“, erzählt er. „Das ist an einem Spieltag messbar, aber auch über die Saison hinweg.“ Erfahrungswerte aus mittlerweile 13 Jahren.
Rudi Assauer holte ihn rüber
Die Frage, ob so ein Farbenwechsel von Schwarz-Gelb zu Blau-Weiß mit dem Gewissen zu vereinbaren sei, stellt er sich schon lange nicht mehr. „Darüber bin ich hinweg“, sagt er und verweist auf Überläufer unter den Profis: wie Libuda, Abramczik, Rüssmann, Lehmann oder Möller. Er macht seinen Job. „Und wie es drinnen aussieht, muss ich ja nicht jedem auf die Nase binden.“
Natürlich hängt er als Dortmunder Junge am BVB, bis Mitte der Neunziger spielte er noch in der Traditionself der Borussen. Aber auf kompromisslosen Fanatismus lässt er sich nicht ein, gelegentlichen Spott und übliche Sticheleien erträgt er gelassen. „Ich sitze nicht zwischen zwei Stühlen, sondern fest auf zwei Stühlen“, sagt er und grinst verschmitzt.
Aber wie zum Fußballteufel kommt einer, der beim BVB groß wurde, an so eine Stelle auf Schalke?
Beziehungen. „Rudi Assauer hat mich 1996 hierhin geholt.“ Der ehemalige Schalke-Manager hatte schon einmal Weichen im Berufsleben von Werner Weist gestellt. Gemeinsam hatten sie für den BVB gespielt, und nachdem Assauer zu Werder Bremen gewechselt war, holte er seinen Kumpel Acker nach.
Die Millionen-Truppe kam damals aus Bremen
Werder stellte damals, 1971, ein teures Team zusammen, das vergeblich versuchte, Meister zu werden. Von der Millionen-Elf war die Rede. „Die hieß so, weil alle Neuen zusammen eine Million gekostet hatten“, erinnert sich Werner Weist. Lachend betont er: „D-Mark!“
Waren das Zeiten. Frühmorgens klingelte ihn die Bremer Abordnung aus dem Bett, Weist empfing Assauer und den Werder-Geschäftsführer Hansi Wolf im Schlafanzug. „Am Tag vorher hatten wir Karneval gefeiert“, erzählt Weist und verdreht die Augen. „Ich war noch gar nicht richtig wach, als die antanzten.“
Das Bremer Angebot war unschlagbar
Es kam ihm vor, als wäre Marlon Brando als Pate erschienen: Die Bremer machten ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte. Die Entscheidung fiel zügig. „Eine solche Absicherung konnte mir Dortmund nicht bieten. Dazwischen lagen Welten.“
Er war ja erst 22 damals, drei Jahre vorher hatte er seinen ersten Vertrag beim BVB unterschrieben. „600 Mark im Monat. Meine Güte, war ich stolz!“ Auf abenteuerlichen Umwegen war er, der Torjäger des kleinen SV Dortmund 08, zur großen Borussia gekommen. Der Vereinswirt des Kreisligisten hatte seine Beziehungen zum früheren BVB-Trainer Max Merkel spielen lassen und Acker Weist ein Probetraining beim 1. FC Nürnberg vermittelt. Als der Club ihn dann tatsächlich verpflichten wollte, wurde in Dortmund mal eben eine Pressekampagne inszeniert. Nürnberg lockt das größte Dortmunder Talent – das war die Zeile, auf die der BVB reagierte. Weist lacht sich heute noch ins Fäustchen. „Auf einmal ging alles ganz schnell.“
Ehrfurcht vor Emmerich und Held
Und plötzlich gehörte er zu einem Team mit den Europacupsiegern von ’66, mit Lothar Emmerich, mit Siggi Held – mit seinen Idolen. „Angehimmelt habe ich die“, erzählt er. „Fast hätte ich die beim ersten Training noch gesiezt, so groß war die Ehrfurcht.“
Nach dem dritten Spieltag wussten all die Legenden, wer der Neue war. Gegen Hamburg wurde der 19-Jährige erstmals ins Bundesliga-Rennen geworfen, nach nur hundert Sekunden bildete das Netz eine Beule. Sein erstes von 34 Bundesligatoren für den BVB in drei Jahren.
Mit einer solchen Quote wäre er in diesen Zeiten ein steinreicher Mann. „Wer heute einen ordentlichen Jahresvertrag abschließt, kann ausgesorgt haben, darauf bin ich schon ein bisschen neidisch“, gesteht Acker Weist. „Ich muss mir noch meine Brötchen verdienen.“ Kurze Pause, er blickt auf seinen Schreibtisch im Lager. „Deshalb bin ich ja hier.“