Veröffentlicht inVermischtes

Pulverfass Nahost – Was den Konflikt so gefährlich macht

Pulverfass Nahost – Was den Konflikt so gefährlich macht

In Jerusalem und Tel Aviv wächst wegen des Konfliktes mit der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen die Angst vor Raketenangriffen wie im Golfkrieg vor gut 20 Jahren. In beiden israelischen Städten wurde am Freitag Luftalarm ausgelöst. Was den Konflikt so gefährlich macht – eine Analyse.

Jerusalem/Kairo. 

Sehr vieles erinnert an den Gaza-Krieg 2008: Der Raketenhagel der radikal-islamischen Hamas und anderer militanter Gruppen aus dem Gazastreifen nach Israel und auch die Luftangriffe der israelischen Armee – gezielt auf Anführer der Hamas, auf Waffendepots, Raketenabschussrampen und Raketenlager, in deren Nähe sich im dicht besiedelten Gazastreifen auch immer viele Zivilisten befinden.

Allein Freitagmorgen schlugen in Gaza-Stadt in nicht mal einer Stunde 85 Raketen ein. Auch auf Israel nahm der Raketenhagel kein Ende. Vor vier Jahren begann nach den schweren Luftangriffen die israelische Bodenoffensive. Auch diesmal ruft Israel 16.000 Reservisten zusammen, formiert die Truppen an der Grenze. Doch jetzt ist die Bedrohungslage eine völlig andere, der Konflikt hat das Potenzial, auf die gesamte Region überzugreifen.

Gegen Mittag haben Alarmsirenen die Bevölkerung im Großraum Tel Aviv zum zweiten Mal vor einem Angriff gewarnt. Die Rakete verfehlte ihr Ziel und landete nach Augenzeugenberichten im Meer. Am Nachmittag erreichte eine Rakete den Großraum Jerusalem. So weit war bisher noch keines der Geschosse aus dem Gazastreifen geflogen.

Die Menschen, die in Israel in einem Radius von zehn bis 15 Kilometer rund um den Gazastreifen leben, erfahren dagegen einen regelmäßigen Beschuss mit Kassam-Raketen, die im Gazastreifen selbst produziert werden. Besonders betroffen sind die 21.000 Einwohner der Ortschaft Sderot. Die Kassam-Geschosse sind wenig zielgenau. Sie kommen oft nicht einmal über den Grenzzaun und treffen die eigenen Leute.

Für Israel viel gefährlicher sind die „Grad“-Raketen. Sie fliegen etwa 40 Kilometer weit bis in Städte Beerschewa und Aschdod.

Neu und noch bedrohlicher sind die iranischen „Fadsch-5“-Raketen, die eine Reichweite von 75 Kilometern haben und die Metropole Tel Aviv oder auch Jerusalem erreichen könnten. Das israelische Militär nimmt bevorzugt die Abschussrampen und Raketendepots ins Visier. Doch keiner weiß genau, wie viele Raketen die Hamas oder der islamische Dschihad oder andere Gruppierungen besitzen und wie viele davon zerstört worden sind.

Israels instabile Nachbarn

Der Arabische Frühling hat die israelische Nachbarschaft verändert. Israel war nie von echten Freunden umgeben, aber überwiegend von Stabilität. Das ist heute anders. In Syrien herrscht Bürgerkrieg, erste Raketen schlugen bereits vor wenigen Tagen auf den von Israel besetzt Golanhöhen ein.

Dieser Bürgerkrieg destabilisiert den Libanon, wo die radikal-islamische Hisbollah Regierungspartei ist und regelmäßig den Norden Israels attackiert. Die Hisbollah und die Hamas werden unterstützt vom Iran, dem größten Feind Israels. Zudem sind jede Menge Waffen, Munition und Raketen nach den Sturz des früheren Machthabers Gaddafi aus Libyen nach Gaza gelangt.

Die Rolle Ägyptens

Stabilitätsfaktor der Region war früher Israels großer Nachbar im Süden: Ägypten unter Hosni Mubarak. Doch nach dem Volksaufsaufstand regiert Mohamed Mursi in Kairo, ein Muslimbruder. Mursi hat kein Interesse an einem Konflikt mit Israel, reagierte bislang mäßigend und besonnen, kann sich aber nicht über sein Volk, das ihn gewählt hat, hinwegsetzen – und das ist in der Mehrheit israelfeindlich. Mursi bewegt sich auf einem schmalen Grat: Er muss die Empörung über Israel auffangen, ohne gleichzeitig Öl ins Feuer zu gießen.

Gestern schickte er seinen Ministerpräsidenten ins Kampfgebiet, unter Raketenhagel und hohem persönlichen Risiko, um Ägyptens Solidarität zu demonstrieren. Doch so symbolträchtig diese Geste auch war, sie war kein Freibrief: Allein 60 Raketen flogen während der Visite aus dem Gazastreifen in Richtung Israel und provozierten sofort Vergeltungsangriffe, was die ägyptischen Emissäre verärgert haben dürfte. Und seit islamische Fanatiker aus Gaza 16 ägyptische Soldaten ermordeten, ist die Grenze von Gaza nach Ägypten wieder genauso stark verriegelt wie zu Mubaraks Zeiten.

Mit dem Abzug seines Botschafters aus Tel Aviv und der dramatischen Visite seines Premiers im Gazastreifen hat Ägypten seine diplomatischen Karten erst einmal ausgereizt. Wie es nun weitergeht, hängt auch von dem Verhalten der Hamas in den nächsten Tagen ab und von der Frage, ob die Israel wie 2008 mit Bodentruppen nach Gaza einmarschiert.