Die 125 Kilometer lange Vennbahn ist der längste Bahntrassenradweg Europas. Man startet in der Europastadt Aachen, strampelt sich ab durchs Hohe Venn und landet in Luxemburg. Unterwegs gibt’s wunderschöne Landschaften, idyllische Einkehrmöglichkeiten und – deftige Kost.
Aachen-Troisvierges.
Fanbahn? Häh? Gibt’s Korsos jetzt auch für Züge? Bin ich schon fünfmal gefragt worden, als ich davon erzählt habe. Von der Vennbahn. Vau-Eh-Doppel-N. Meine neue große Liebe. Und sie währt recht lang, 125 Kilometer lang, um genau zu sein. Und die Liebe überwindet Grenzen, hat Höhen und Tiefen, ist mal idyllisch, oft aber auch kraftraubend. Und geht durch den Magen wie auch in die Beine. Meine Liebe ist der längste Bahntrassenradweg Europas – und in dieser Saison erstmals grenzenlos befahrbar.
Es beginnt, wie so vieles in Europa, bei Karl dem Großen und dem Dom zu Aachen, von dort aus wurschtelt man sich durch die Innenstadt, biegt hinterm Bahnhof Rothe Erde scharf links ab, zwischen Parkhaus und Bahndamm hindurch und dann geht’s aufwärts in ein Gebiet, das Radfahrer für gewöhnlich meiden wie der Wanderer den Ruhrschnellweg: Es geht in die Eifel. Von 130 Metern auf 565 Meter über den Meeresspiegel.
Unter allen Wipfeln ist Ruh’ – und oben wartet Schottland
Aber die Vennbahn ist sanft zum Radler: Mehr Prozent als ein gutes Bier mutet sie einem nicht zu. Glatter Asphalt – und an vielen Stellen sogar Vorfahrt vor den Autos auf den Querstraßen. Da stampft es sich leicht durch die Vororte, über lang gezogene Viadukte nach Raeren. Irgendwo quert man die Grenze. Zu merken daran, dass in Belgien auch Pferde die Trasse nutzen dürfen.
Hinter Raeren wird es beschaulich: Unter allen Wipfeln ist Ruh’. Kilometer um Kilometer windet sich die einstige Militärbahn hinauf in die Berge durch schier endlose Wälder. Und dann ist man auch schon fast in Schottland: das Hohe Venn, ein Hochmoor, weitet sich vor einem, hier blühen seltene Narzissen und Sumpfdotterblumen, hier grüßen abgestumpfte Bäume und man muss nicht den Ortsnamen Kalterherberg lesen, um ein wenig zu frösteln: Nirgends ist NRW so kühl wie hier.
Dagobert mit Schinken und Käse
Wer pausieren will: An den einstigen Bahnhöfen warten neue Häuschen, Tische und Bänke auf die Rast, am Wegesrand immer wieder Hinweise auf Gaststätten, Restaurants und Biergärten. Mit dem Interesse für die Bahn wächst die Infrastruktur. In einer Bäckerei lerne ich „Dagobert“ kennen: Baguette, belegt mit Käse und Schinken. Und zwar reichlich. Braucht man auf dieser Tour, bei der man zwar selten aus dem Sattel muss, die aber doch beinhart werden kann. Auch die im Schnitt nur zwei Prozent Steigung machen müde, wenn man sie in nur zwei Tagen abstrampelt. Die Touristiker empfehlen drei, gern auch mehr.
Es gibt ja auch genug zu sehen. Und zu essen und zu trinken. Hätten die Ernährungsratgeber recht, müssten die Belgier hier längst ausgestorben sein. Klosterbiere mit Alkoholanteilen, die mancher Wein nicht erreicht, fette Fritten, rauchiger Ardennerschinken, süße Pralinen und als Ausgleichssport Kneipentriathlon: Dart, Billard und Fußball gucken.
Wunderbar singender Dialekt
Doch das Schöne am Radeln ist ja, dass man sich wiegt – und zwar ausschließlich in der Illusion, so viele Kalorien verbrannt zu haben, dass die Liebe zur Vennbahn diese Sünden erlaubt. Zum Beispiel im Örtchen Weywertz im Hotel auf halbem Wege, wo die Ernährungswelt noch so in Ordnung ist, dass bei Vegetariern das Rindersteak durch ein Lachsfilet ersetzt wird.
Man spricht Deutsch, einen wunderbar singenden Dialekt mit Anklängen aus dem Luxemburgischen und Flämischen. Die belgischen Ostkantone, das sind neun Gemeinden mit 70 000 Einwohnern. Hier im Hohen Venn wird das Bahnabenteuer zeitweise so skurril wie die Geschichte der Bahn: Zwar dürfen von Kalterherberg bis Sourbrodt laut polternde Draisinen über die Strecke fahren, deren Gleise hier ausnahmsweise noch liegen, der Radfahrer aber muss raus ins Gelände, weil er sonst die seltenen Braunkehlchen beim Brüten stören könnte. Der Bauer wiederum fürchtet um seine sensiblen Hochlandrinder und hat deswegen die Wiesen mit einem Lattenzaun vor neugierigen Blicken geschützt.
Belgischer Triathlon: Dart,Billard und Fußball gucken
Aber keine Bange: Hinter Weywertz geht es erstens meist sanft abwärts und zweitens weiten sich die Blicke wieder: Riesige Bahnviadukte zeugen davon, dass die Eifel Aufmarschgebiet zweier Weltkriege war und Bahnstrecken in jedes Tal führten. Erst jetzt werden sie wiederentdeckt und so wächst heute ein grenzüberschreitendes Bahnradwegenetz zusammen, das zwischen Nürburgring und der Formel-1-Strecke von Spa mal sanfte, leise und saubere Fortbewegung in Eifel und Ardennen verheißt: Die Liebe zur Vennbahn schürt auch die Eifelsucht.
Im letzten Drittel wartet wieder mehr Schotter auf der Piste. Dafür ist das Tal der Our so sanft idyllisch wie ein Frühlingsmorgen im Mai. Im lebhaften Kleinstädtchen St. Vith erinnert das Museum im alten Bahnhof an die blutige Geschichte der Kriege, danach grüßt die riesige Ruine von Burg Reuland. Reimt sich zurecht auf Neuland: Hier haben sich bisher wenige Touristen hin verirrt.
Zum Finale macht es die junge Strecke noch einmal schwer: Der längste Tunnel gehört den Fledermäusen. Und Radler müssen über den Berg nach Luxemburg und hinunter zum Bahnhof von Troisvierges.
Doch das finale Auf- und Ab am abrupten Ende dieses ersten sonnigen Rendezvous ändert nichts daran: Ab jetzt bin ich Vennbahn-Fan.