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„Ich habe ihn nicht als Monster behandelt“

„Ich habe ihn nicht als Monster behandelt“

Duisburg. 

„Joachim Kroll sagte 1976 mal in einer Vernehmung zu uns, dass er 20, ja vielleicht sogar 30 Menschen getötet habe. Und nicht nur die zwölf, die wir ihm sicher zuordnen konnten. Ich glaube das bis heute.“ Der Mann, der das sagt, ist Bernd Jägers. Der Kriminalhauptkommissar saß dem „Menschenfresser von Duisburg“, wie die Boulevardpresse den Serienmörder damals nannte, drei Monate am Stück gegenüber. Als Leiter des Vernehmungsteams.

Tag für Tag versuchten er und seine Kollegen in Verhören des Täters herauszufinden, wie viele Opfer dieser auf den ersten Blick so unscheinbare und schweigsame Mann nun wirklich ermordet hatte. Und warum. Es war Jägers, der Kroll die entscheidenden Antworten entlockte. „Weil ich ihn trotz seiner schaurigen Taten stets als Menschen betrachtet und behandelt habe. Und nicht als Monster.“

Der in Neudorf lebende Bernd Jägers hat sein Büro bei der Duisburger Kripo längst geräumt. Offiziell geht er zwar erst ab September in den Ruhestand, doch wegen Resturlaub und Überstunden hat er seinen letzten Dienst-Tag im Februar geleistet. Wenn Jägers geht, ist auch der letzte Fahnder im Fall Kroll aus dem aktiven Dienst ausgeschieden. Zurück bleiben dann nur noch die Geschichten im Kollegenkreis. Und ein paar Erinnerungen.

Für das NRZ-Interview wählt der 64-Jährige als Treffpunkt das Polizeipräsidium aus, weil er auch Einblicke in die damaligen Ermittlungsakten gewähren will. Neben Protokollbergen kommen da vor allem Zeitungsartikel und Fotos zum Vorschein, viele in Schwarz-Weiß. Sie zeigen Kroll und die Ermittler draußen im Freien. „Das sind die Tatorte, die wir abgeklappert haben. Es waren über 100, verteilt in ganz NRW“, erinnert sich Jägers.

Denn nachdem klar war, dass der im Jahr 1976 ertappte Kindermörder zahlreiche weitere Morde begangen hatte, da nahmen die Ermittler alle ungeklärten Altfälle unter die Lupe. „Fragte man Kroll im Präsidium, ob er da oder dort gemordet hatte, schwieg er. Weil er sich keine Ortsnamen gemerkt hatte und er gar nicht verstand, wovon wir da redeten. Waren wir aber am Tatort, konnte er sofort sagen, ob er schon einmal da war und wo genau er wie die Tat begangen hatte. Das waren keine falschen Geständnisse, denn er offenbarte dort Täterwissen. Für diese Orte seiner Verbrechen hatte er ein fast fotografisches Gedächtnis“, schildert Jägers.

Was war Kroll überhaupt für ein Typ? „Das war ein unscheinbares Männeken, knapp über 1,60 Meter, schmächtig, aber unglaublich kräftig“, so Jägers. „Es war ein verstockter, scheuer Typ, der sich in den Verhören zunächst oft innerlich abgeschottet hat.“ Jägers versuchte eine Annäherung auf anderem Wege als die knallharte Tour. „Wir quatschten übers Mofareparieren. Das war sein Hobby. Plötzlich merkte er, dass sich da jemand für ihn interessiert. Wir wurden seine Bezugspersonen, denen er vertraute.“

Jägers brachte Kroll mal Reibekuchen mit, weil sie sein Leibgericht waren, mal ein Stück Bienenstich. „Als die Boulevardpresse das herausbekommen hatte, haben sie es uns um die Ohren gehauen. Ich weiß nur, dass der Achim sich so immer weiter für uns geöffnet hat, was für die Aufklärung weiterer Fälle von enormer Bedeutung war.“ Der Achim? „Ja, wir haben uns nach einer Zeit geduzt.“

Erinnerungen aus vier Jahrzehnten

Und wie viel wird er von diesen Erinnerungen mit in den Ruhestand nehmen? Da lächelt Jägers. „Nicht so viel. Ich war immer gut darin, solche Sachen nach Feierabend im Büro zu lassen. Sonst kannst du den Job bei der Mordkommission nicht über vier Jahrzehnte aushalten.“