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Hitlergruß und Hetzjagd: Fans werden Fall für Staatsschutz

Hitlergruß und Hetzjagd: Fans werden Fall für Staatsschutz

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ee17aa4d-0f4d-430a-ac29-5e37cf28c688.jpg Foto: Reto Klar
2:0, Freude über den EM-Start der Nationalmannschaft. Doch es gab auch Bilder und Szenen, die kein gutes Licht auf Deutschland werfen.

Berlin/Lille. 

Hunderttausende feierten fröhlich auf den Straßen, doch es gab es auch die hässlichen Ausfälle: Nationalistische und rassistische Vorfälle beim 2:0-Sieg der deutschen Nationalmannschaft in Lille. Auch wenn die Polizei republikweit kaum Zwischenfälle meldete, sorgen diese Eskapaden dann für besondere Aufmerksamkeit. Vor allem aus der Jugendorganisation der Grünen war schon vor dem ersten Spiel der „Partypatriotismus“ an den Pranger gestellt worden. Die Grüne Jugend Rheinland-Pfalz hatte Fans sogar aufgefordert, auf Fahnen zu verzichten. Als Reaktion gab es vor allem Unverständnis, aber auch Morddrohungen.

Hetzjagd mit Schreckschusswaffe?

In Stuttgart sollen kurz nach Abpfiff des Spiels zwei Männer in Deutschlandtrikots einen dunkelhäutigen Mann bedroht und beschossen haben. Der 21-jährige Deutsche gab an, dass er gerade eine Straße überqueren wollte, als der Fahrer eines dunkelblauen Kleinwagen eine Waffe auf ihn gerichtet habe. Der Mann hinterm Steuer rief „Lauf, Schwarzer“ und gab mehrere Schüsse ab, wie die Polizei mitteilte. Sie fand mehrere Platzpatronenhülsen. Der bedrohte Mann flüchtete in Richtung Hauptbahnhof, das Auto fuhr dann in eine andere Richtung. Der Staatsschutz ermittelt.

Hitlergruß in Berlin auf Überwachungsvideo?

Im Fahnenmeer auf der Fanmeile in Berlin zeigte vor dem Spiel und auch während der Nationalhymne ein Zuschauer mehrfach den Hitlergruß, wie eine Journalistin des Tagesspiegels dokumentierte. In sozialen Medien antworten Nutzer vereinzelt darauf mit Fotos von prominenten Politikern demokratischer Parteien in Posen, die auch nach dem Hitlergruß aussehen. Doch der Mann auf der Fanmeile zeigte die Geste so häufig und so eindeutig, dass ein Missverständnis ausgeschlossen scheint. Zudem soll aus der Gruppe heraus die verbotene erste Strophe des Deutschlandlieds gesungen worden sein.

Von der Berliner Polizei hieß es am Morgen, bei den Ermittlungen werde „natürlich alles genutzt, was an Beweismitteln zur Verfügung stehe“. Auch das Landeskriminalamt erklärte, es prüfe den Vorfall „schon von Amts wegen“ auf Grundlage der Bilder. Ob es Videobilder der Szene gibt, ist aber fraglich. „Die Videoüberwachung ist nicht flächendeckend“, sagte eine Sprecherin des Veranstalters B2 talk+tv produktion GmbH unserer Redaktion. Wenn die Security so etwas mitbekomme, greife sie ein.

Aber nicht nur in Berlin gab es nationalistische Zwischenfälle. In Marl in Nordrhein-Westfalen fiel nach dem Abpfiff des Spiels ein Mann mit „Sieg Heil“-Rufen auf. Er war an eine Kreuzung gekommen, an der nach Spielen regelmäßig Feiernde zusammentreffen. Die Polizei nahm eine Anzeige wegen Volksverhetzung auf, der Mann erhielt einen Platzverweis. Ein Sprecher konnte am Morgen nicht sagen, ob er einschlägig bekannt war.

„Hier wird wieder einmarschiert“-Gesang

Empörung ausgelöst hat auch das Verhalten einiger Deutscher in Lille. Sie sangen „Hier wird wieder einmarschiert“, wie auf einem Youtube-Video zu sehen ist. Das französische Lille war im Ersten und Zweiten Weltkrieg Schauplatz von heftigen Kämpfen mit deutschen Truppen gewesen, das Bahnhofsviertel war im Ersten Weltkrieg schwer beschädigt worden. Auch ein „Wir hassen die Türkei“-Gesang stimmten deutsche Fußballfans dort an.

Gruppenbild mit Reichskriegsflagge

Direkt vor dem Bahnhof fotografierte sich dann eine Gruppe mit der Reichskriegsflagge, einer der Anhänger auf dem Bild macht eine Geste, die als Hitlergruß ausgelegt werden kann. Auch auf einem weiteren Foto sieht es so aus, als zeige ein Deutscher in Lille den Hitlergruß.

Neonazi-Größe im Stadion entdeckt

Diskussionen gab es auch darüber, dass der bekannte deutsche Neonazi Michael Brück in Lille im Stadion war. Er ist Betreiber des Onlinehandels „antisem.it“, Mit-Gründer der Partei „Die Rechte“ und sitzt für sie im Dortmunder Stadtrat. Brück trägt auf dem Foto einen schwarzen Jogginganzug. Auf die vielfache Kritik im Netz hin kamen einzelne Erwiderungen, auch er habe Bürgerrechte und könne sich ein Fußballspiel anschauen.

Andere deutsche Anhänger hatten es aber nicht nach Frankreich geschafft. Um die Ausreise gewalttätiger Fans zu verhindern, hatten deutsche Behörden im Grenzgebiet zu Belgien und Luxemburg verstärkt Fahrzeuge kontrolliert.

Deutsche attackierten Ukrainer

Die Bundespolizei Trier meldete am Sonntag zunächst, eine 18-köpfige Gruppe einschlägig bekannter Gewalttäter aus Dresden an der Ausreise gehindert zu haben. In den drei Kleinbussen der Gruppe wurden Sturmhauben und Mundschutze gefunden. Die Polizei erklärte, man gehe davon aus, dass sie für Krawalle nach Lille fahren wollten.

Und tatsächlich hatte es in Lille auch Angriffe auf ukrainische Fans gegeben. Deutsche Anhänger waren nach übereinstimmenden Berichten von Zeugen auch auf friedliche ukrainische Fans losgegangen. Vier Ukrainer wurden dabei verletzt. Ein politischer Hintergrund dabei ist aber nicht zwangsläufig – Hooligans brauchen keine Ideologie, um Gewaltexzesse zu feiern.

„Sport1“ berichtete, dass etwa 40 deutsche Hooligans an dem Angriff beteiligt waren. Ein Reporter sei ebenfalls angegriffen worden und habe einen Schlag in die Rippen bekommen.

Im südfranzösischen Marseille hatte es in den Tagen zuvor heftige Auseinandersetzungen zwischen englischen und russischen Anhängern gegeben, an denen auch französische Hooligans beteiligt gewesen waren.

„Scheiß Jude“ nur ein Hörfehler?

Und manchmal kann es banale Erklärungen, wenn die Aufregung bereits hochschwappt. Bei der Auswechslung von Julian Draxler, für den André Schürrle ins Spiel kam, wollten viele Fernsehzuschauer den Ruf „Scheiß Jude“ gehört haben. Ein oft geteiltes Video mit der Szene und dem Ruf war am Montag nicht mehr abrufbar. Dafür fand sich eine bearbeitete Version, die belegen soll, dass die Zuschauer „Stark, Jule“, gerufen hatten – ein Lob für den „Jule“ genannten Draxler. Das hatten viele Zuschauer bereits vermutet.