Bielefeld. Der Mann, der zu Ostern ein Mädchen mit dem Auto gerammt hat, um die Schwerverletzte anschließend zu vergewaltigen, hat die Tat im laufenden Prozess gestanden. Er will den Unfall allerdings nicht absichtlich verursacht haben, wie er ursprünglich angegeben hatte.
So ist der Mensch, dass er in diesen Fällen wissen will: Was ist das für einer, der sowas getan haben soll? Ein Kind erst anfahren und dann vergewaltigen? Nun, Björn P., 31, Hilfsarbeiter aus Minden-Lübbecke, Vater von fünf Söhnen: ein Mann wie ein Bär, aber ein schwacher, wie er da sitzt im Bielefelder Landgericht, zusammengesunken im Kreuzfeuer der Blicke und Blitzlichter, die Augen geschlossen, als betete er. Das sei aus Scham, sagt sein Anwalt. Groß, aber nicht grob, kräftig, aber nicht stark, so sieht er aus mit seinem etwas undichten Vollbart, der bollerigen Jeans und dem Ring im linken Ohr. Irgendwie zu groß für die Anklagebank, neben der zarten Rechtsrefendarin. Und irgendwie zu unsicher für diese Tat.
Aber eben dieser Mann gibt zu: Er hat das 13-jährige Mädchen nach einem Unfall missbraucht. Am Ostermontag war das dieses Jahr, auf einem Feldweg im Dorf Hille, in der Nähe seines Elternhauses. Und dem der Schülerin. Festgehalten habe er sie, aber als sie bat aufzuhören, „habe ich das auch gemacht“. Nur dass er sie angefahren habe, UM sie zu vergewaltigen, „das ist nicht richtig“. Das habe er der Polizei bloß gesagt, weil er ihren Fragen „nicht gewachsen“ gewesen sei. „Ich schämte mich so sehr.“
War der Unfall Absicht oder nicht?
Nur ist das die entscheidende Frage dieses Prozesses, die vielleicht nur Gutachter klären können: War es Absicht, dass P. das Kind anfuhr, das schwer vom Fahrrad stürzte, sich den Kiefer brach, das Gehirn erschütterte, Prellungen und Schrammen zuzog, dass Zeugen noch Stunden später sahen, es war „blutüberströmt“? Hatte der Täter diesen Trick womöglich schon länger geplant, in seiner Fantasie durchgespielt? Diese Version kommt ja von ihm, der Vorwurf durch seine eigene Aussage in die Anklage.
Vor Gericht aber sagt Björn P. nichts, das Bisschen lässt er seinen Verteidiger vorlesen, dazu eine Entschuldigung und diesen Satz: „Ich weiß nicht, wie ich dazu fähig war.“ Mehr mag er nicht äußern, auch auf die eindringliche Bitte des Vorsitzenden Richters nicht: „Es ist unangenehm für das Gericht, urteilen zu sollen über jemanden, den kennen zu lernen man keine Chance hat.“ Reinhard Kollmeyer rät Angeklagten gern, um Verständnis für sich selbst zu werben, aber das „möchte ich hier nicht tun“. Doch „die Fassungslosigkeit zu durchbrechen“, dabei müsse der Angeklagte doch mithelfen wollen?
Der Familienvater will nicht. Oder soll nicht, ergibt eine kurze Besprechung mit seinem Anwalt: Der Gutachter soll reden. Der erzählt nach, was P. ihm im Gefängnis erzählt hat: wie er am 13. April heimfuhr, „nichts Böses im Sinn“, sechs kleine Flaschen Bier intus, aber nichts zu essen. Wie ihm das Mädchen auf dem Rad entgegen kam, ebenfalls auf dem Heimweg von einer Freundin. Wie es plötzlich „einen Schlenker“ machte und ihm in die Seite krachte, wie er ihm aufhalf und es ins Auto setzte, „ganz froh“, dass die 13-Jährige keinen Krankenwagen wollte: „Es war ihm ja bewusst, dass er angetrunken war.“ Und wie er dann ihre Beine sah und den Sitz herumdrehte und… Zwischendurch habe er sich gefragt, was er da eigentlich machte und gefühlt „wie das letzte Arschloch“.
Sexualleben zuhause „befriedigend“
Natürlich fragt Richter Kollmeyer wegen des angeblichen „Schlenkers“ nach, wie er jeden an diesem Tag danach fragt: Wie fährt das Opfer eigentlich Fahrrad? Antworten auf andere Fragen erwartet er schon gar nicht mehr. Obwohl er einige hätte: „Wie zum Beispiel kann man noch wollen, wenn sie blutende Verletzungen hat?“ Dem Gutachter hat P. gesagt, sein Sexleben zuhause sei „befriedigend“. In der Untersuchungshaft hat der 31-Jährige der Mutter seiner Kinder einen Antrag gemacht, per Brief, sie brachte beim nächsten Besuch die Ringe mit. Wie das alles geht? Der Psychologe verspürte im Gespräch mit dem Häftling „einen inneren Widerstand, sich der Sache zu nähern“. Er erinnert sich nicht gut.
Ausschluss der Öffentlichkeit
Für die gerichtliche Vernehmung von Zeugen unter 16 Jahren sieht der Gesetzgeber die Möglichkeit eines Ausschlusses der Öffentlichkeit vor. Die Jugendschutzkammer des Landgerichts Bielefeld befragte daher im angeklagten Fall das 14-jährige Opfer ohne Publikum. Auf Bitten des Mädchens wurde der Angeklagte allerdings außer Sichtweise hinten im Saal platziert. Der Anwalt der Familie, die als Nebenklägerin auftritt, hatte ursprünglich beantragt, auch ihn aus dem Saal zu bringen.
Die Eltern des Opfers hingegen erinnern sich zu gut: Als P. noch herumfuhr an jenem Abend mit dem Mädchen, das er später aussetzen sollte in der Nähe der Schule, warteten sie längst unruhig auf die sonst so pünktliche Tochter, telefonierten ihr nach und gingen sie suchen – sie fanden nur noch das Rad und die Sandalen im Gras. Unter Tränen erzählt die Mutter das, wie sie ihr nach Stunden das Kind brachten, voll Blut und „total verwirrt“. Die inzwischen 14-Jährige spricht bis heute nicht über das Vorgefallene, es heißt, sie habe keine Erinnerung; die Mutter sagt: „Sie verdrängt.“
Für den Täter sei entscheidend, sagt der Richter am ersten von drei Verhandlungstagen, „wie es in Ihrem Leben weitergeht“. Und in dem des Opfers? Es wird jetzt eine Therapie anfangen. Die Eltern sagen, ihr Kind sei verschlossen geworden, unruhig, anhänglich. „Sie geht nirgends mehr allein hin. Sie redet nicht, weil sie Angst hat.“ Auch dem Gericht kann sie nicht viel sagen. Sie ist die Einzige an diesem Tag, die den Angeklagten nicht sehen will.