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Alice und ihr wunder Punkt

Alice und ihr wunder Punkt

Köln. 

Alice Schwarzer liegt mit Familienministerin Christina Schröder im Clinch. Es geht um Sex und die Rolle der Frau.

Das war im Sommer 1975, die sexuelle Revolution war da im Fichtelgebirge noch nicht angekommen. Eine Beteiligte berichtet, dass sie noch lange danach Angst hatte, mit einer Frau aus einem Lokal oder Hotel rausgeschmissen zu werden. Und Schwarzer, die in diesen Dingen nie über sich selbst sprach, schrieb nur über Homosexualität im Allgemeinen in einem ihrer Bücher: „Und dann ist da auch noch die Scham, diese im tiefsten Inneren empfundene ‚Schande’.“ Inzwischen zeigt sich die Frau, die Sexualität zum Politikum erklärte, dann und wann in Köln mit ihrer Partnerin, einer Fotografin. Öffentlich geoutet hat sie sich nie. In dieser Hinsicht ist die Zeit stehengeblieben. Vierzig Jahre nach dem Beginn der Frauenbewegung feuert Schwarzer immer noch Schüsse ab. Zuletzt traf es Familienministerin Kristina Schröder. Und Schwarzer selbst verbarrikadiert sich im Kölner „Emanzenturm“, einem Wehrturm am Rhein. Hier sitzt die „Emma“ seit 1994. Die Festung wurde mit Steuergeldern renoviert, über die kommerzielle Nutzung durch die Redaktion gab es damals Streit, heute verliert niemand mehr ein Wort darüber. Im fünften Stock hat Schwarzer ein feministisches Archiv einrichten lassen, für die Gemeinnützigkeit. Wer sich dort von den Mitarbeiterinnen, die zufällig alle lila gekleidet sind, frühe „Emma“-Ausgaben bringen lässt, stößt in der Ausgabe vom April 1977 auf ein Editorial Schwarzers mit der Überschrift „Penetration“. Ein Wort, das sie als Synonym für den Geschlechtsverkehr einführte. „Der Koitus verdammt die Frau zur Passivität und ist so für Männer die unkomplizierteste und bequemste Sexualpraktik. Beine breit machen genügt.“ Schwarzer weiß: „Die psychologische Bedeutung dieses in sich gewaltsamen Aktes des Eindringens ist für Männer (und Frauen) sicherlich von Bedeutung. Bumsen – wie es so traurig treffend heißt – als höchste Demonstration männlicher Herrschaft und weiblicher Unterordnung.“

Genau das hat Kristina Schröder im „Spiegel“-Interview aufgegriffen: Es sei absurd, etwas, das für den Fortbestand der Menschheit grundlegend sei, per se als Unterwerfung zu definieren. Und dass eine radikale Strömung von Feministinnen „die Lösung darin sah, lesbisch zu sein“.

Ein Coming-out hatte die „Emma“ gar nicht erst nötig. In den Kontaktanzeigen gab es nur „sie sucht sie“. Kinderliebe, schwarzlockige Frau sucht Beethoven-Liebhaberin und Ähnliches. Die „Emma“ warb mit dem Slogan „Männerfeindlich und garantiert daneben“ und Jill Johnston verbreitete den Schlachtruf der militanten Lesbenbewegung: „Alle Frauen sind lesbisch – nur wissen es manche noch nicht.“

Claudia Pinl, eine „Emma“-Frau der ersten Stunde, mit kurzen Haaren, roter Brille und regenbogenbuntem Schal, erzählt in einer Kölner Bar bei einem „Jever Fun“ davon, wie die Frauenbewegung zur Lesbenbewegung wurde. „Man unterschied zwischen Urlesben und Bewegungslesben.“ Letztere hatten sich erst durch sexuelle Befreiung auf die andere Seite geschlagen und forderten Lesbianismus als letzte Konsequenz des radikalen Feminismus. „Ich fand’s ein bisschen anmaßend von den Bewegungslesben, wie sie aus ihrer neugefundenen Lebensart gleich eine politische Strategie ableiteten“, kommentiert Pinl, die sich selbst zu den Urlesben zählt. In ihrem Buch „Klatschmohn“ hat sie, alias Julia Bähr, geschildert, wie sie Schwarzer und deren damalige Gefährtin in Berlin besuchte. Schwarzer habe „Avocados mit wohlschmeckender Soße“ serviert, während die andere Frau stundenlang afrikanische Trommeln bearbeitete. Pinls Ansicht nach ist Schwarzer im Siebziger-Jahre-Feminismus steckengeblieben. Und: „Alice Schwarzer kann ihre neurotischen Allmachtsphantasien an Frauen besser ausleben.“

Im „Stern“ hat Schwarzer nun nachgeladen: „Ich gönne Frau Schröder, diesen Nachnamen trägt sie jetzt ja, ihr Alter, ihr Hübschsein, ihre Karriere von Herzen. Und es geht ja auch überhaupt nicht um Persönliches.“ Aber das tut es. Weil Schröder einen wunden Punkt berührt hat. Je weiter man sich diesem nähert, desto vernichtender werden die Angriffe. Schwarzer verhöhnte die junge Ministerin als „hoffnungslosen Fall“.

Im „Kleinen Unterschied“ schilderte Schwarzer nicht repräsentative, aber erschütternde Biographien von 17 Frauen und ihren männlichen Unterdrückern. Nicht wenige dieser Frauen wurden lesbisch. Die Berichte über den ersten Beischlaf fasst Schwarzer zusammen: „Keine tut es aus Lust, alle tun es aus Angst.“ Und die Männer, mit denen Frauen eine befriedigende Sexualität erlebten, seien unmännlich – „im positiven Sinne“. Im Vorwort schrieb Schwarzer, dass sie heute nicht mehr so agitatorisch argumentieren und anstatt der Ausrufe- auch Fragezeichen setzen würde.

Aber das darf nur sie selbst, das dürfen nicht andere. Das war der kurzzeitigen Chefredakteurin Lisa Ortgies nicht gestattet, die der „Emma“ ein breiteres und weniger orthodox-feministisches Publikum verschaffen wollte. Als die Emma auf den Markt kam, hieß es noch, es gebe keine Chefin und keine Angestellten. Stattdessen gibt es nur Alice Schwarzer. Mit Krawall. Dazu eine Anekdote aus dem Fichtelgebirge: Sechs Frauen saßen im Café. Schwarzer hatte die Angewohnheit, vom Essen anderer zu naschen, und steckte ihren Finger in den Bienenstich der Nebenfrau. Als die protestierte, beschimpfte Schwarzer sie als spießbürgerlich. Schwarzer stand auf, hob den Tisch an und ließ ihn mit Getöse wieder auf seine vier Beine krachen.