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Awo lädt zum gefühlvollen Liebesbrief-Duell

Awo lädt zum gefühlvollen Liebesbrief-Duell

Kathi Cohaus und Sergey Herter,_0--543x199.jpg

Essen. 

„Machst Du mit beim Liebesbriefwettbewerb?“ „Ja!“, „Nein!“, „Vielleicht!“. Noch bis zum 15. März lädt das Essener Awo-Beratungszentrum Lore-Agnes-Haus verliebte Schüler zum gefühlvollen Wort-Duell. Die Jugendlichen sollen ihren Emotionen freien Lauf lassen und ihre Empfindungen genießen.

Gefühle in Worte zu kleiden fällt schwer, wenn 140 Zeichen der Maßstab sind. HDL, HDGDL, ILD, das ist schnell getippt, leicht gesagt, persönlich unpersönliche Standardformel für Verliebte. Eine Liebeserkärung klingt anders. Da braucht es mehr „Ich“, mehr „Du“, mehr Gefühl und Herz ohne Verstand, einen Brief vielleicht, einen Liebesbrief und den hat Kathi verschickt — an die Awo.

Beim Beratungszentrum Lore-Agnes-Haus flattern derzeit so einige Umschläge in den Briefkasten, flammende Liebeserklärungen mit viel Gefühl hoffen auf Anerkennung. Doch nicht Gegenliebe ist das Ziel: Es geht ums Gewinnen. Zum zweiten Mal fordert die Awo Neunt- und Zehntklässler im Ruhrgebiet zum Liebesbrief-Duell heraus, sucht Worte, die ins Herzen treffen, preisverdächtige Liebesschwüre, egal ob an Mensch, Tier oder Motorrad.

Die schönen Seiten der Liebe

„In unserer Einrichtung arbeiten wir vor allem sexualpädagogisch“, erklärt Projektleiter Rudolf Slobodian. „Wir klären auf über Verhütung, sexuell übertragbare Krankheiten und sonstige Unannehmlichkeiten — da vergisst man schnell die schönen Seiten der Liebe. Die Jugendlichen sollen ihren Gefühlen in den Briefen freien Lauf lassen, ihre Empfindungen genießen.“

Nur dass Kathis Herz gebrochen ist, von ihrer Liebe nicht mehr viel bleibt — nur Erinnerung. „Seitdem du nicht mehr da bist, habe ich das Gefühl, ich bekomme keine Luft mehr, als wenn du alle Luft mit genommen hättest, als du gegangen bist.“ Mit 15 sind vier Monate Beziehung ein halbes Leben. Nun schmerzt der Verlust, das Schreiben hilft: „Man fühlt sich danach besser.“ Und auch ein neuer Ipod könnte vielleicht ein wenig Linderung bringen, auf den Hauptpreis passen viele traurige Liebeslieder, viel vertonter Herz-Schmerz — können sich gebrochene Herzen gar lohnen?

Ein wenig absurd wirkt er schon, dieser Konkurrenzkampf der Liebeserklärungen, ein Wettbewerb mit spitzer Feder, bis das Herzblut nur so trieft. Die Entscheidung falle der Jury dann auch ganz schön schwer, räumt Slobodian ein. „Die Schüler haben ein ganz unterschiedliches Bildungsniveau, eine ganz eigene Art sich auszudrücken.“ So spielen Rechtschreibfehler eher eine untergeordnete Rolle — was zählt, ist das Gefühl: „Beim letzten Mal hat ein Förderschüler gewonnen, der mit nur zwei, drei Sätzen seine Emotionen auf den Punkt gebracht hat. Eine hervorragende Leistung.“

Abschied nehmen

„Dieser Brief geht an Dich allein…“ Die Jury wird ihn lesen, diesen Satz, wenn das Private öffentlich, Persönliches auf Publikumstauglichkeit geprüft, Intimes bewertet wird. Doch Kathi ist das weder unangenehm noch peinlich, sie schämt sich ihrer verflossenen Liebe nicht: „Ursprünglich war der Brief tatsächlich nur für meinen Ex-Freund gedacht. Doch dann habe ich von dem Wettbewerb erfahren — für mich ist das eine schöne Art, Abschied zu nehmen, loszulassen.“

Vorlesen werden ihre Worte vielleicht andere. Schauspieler nehmen die Briefe in die Hand, verwandeln das Geschriebene zurück in Emotion: „Wir sind keine Castingshow, wir wollen keinen Exhibitionismus fördern“, beteuert Rudolf Slobodian. „Die Akteure im Schauspiel heben die Briefe auf eine andere Ebene, lassen das persönlich Erlebte auch für das Publikum erfahrbar werden.“

Für Sergej würde damit ein Traum in Erfüllung gehen: so viele Zuhörer. Sein Brief ist fiktiv, der Adressat das Publikum, der Wettbewerb der Vater des Gedanken — und Sergej möchte gewinnen. „Natürlich habe ich beim Schreiben an ein Mädchen gedacht. Aber eigentlich habe ich meiner Phantasie freien Lauf gelassen, mich gefragt, wie ich empfinden würde, wie sich das anfühlt: verlassen werden.“ Da ist der gemeinsame Anrufbeantworterspruch, der Jahrestag, „die brodelnde Supernova in meinem Herzen, die explodiert.“ Auch er hat lange an seinem Brief gefeilt, ihn „perfektioniert“, wie er sagt. Ob er schon einmal einen „echten“ geschrieben hat? Für ein Mädchen? Aus Liebe? „Viel zu kitschig und zu kindisch“, wiegelt der 17-Jährige ab. „Das würde doch kein Mädchen ernst nehmen. Vor 40 Jahren hat man vielleicht noch Liebesbriefe geschrieben, zu Zeiten Goethes vielleicht — aber heute doch nicht mehr. Gefühle auf diese Art auszudrücken ist nicht meine Art. Ich bin doch nicht schüchtern.“

Kathi sieht das anders. Sie hat schon viele Briefe geschrieben, an Jungs oder an die beste Freundin. „Es ist doch schön, jemandem zu sagen, wie sehr ich ihn mag. Oder einen solchen Brief zu bekommen.“ Briefe bewahrt sie auf, hängt sie an die Wand, zum Immer-Wieder-Lesen: „Das geht mit einer SMS nicht.“

Liebesbriefe können noch bis zum 15. März an das Lore-Agnes-Haus geschickt werden: Stichwort „Liebesbriefwettbewerb“, Lützowstraße 32, 45141 Essen. Zu gewinnen gibt es unter anderem einen Ipod touch, ein Fotoshooting und ein „Dinner for two“. 30 Briefe werden prämiert und in einer öffentlichen Veranstaltung im Schauspiel Essen von zwei Akteuren einfühlsam vorgetragen.