Wer Botulinumtoxin – kurz BTX-A oder nach einem Handelsnamen Botox genannt – hört, denkt meist an Frauen, die sich damit ihre Falten glätten lassen. Dabei sind auch Urologen und Neurologen froh, dieses Mittel zu haben, um Patienten mit überaktiver Blase oder mit Muskelverspannungen helfen zu können.
Düsseldorf.
Wir haben Experten über die Wirkweise von Botox gefragt – ein Überblick.
Ist Botulinumtoxin nicht ein gefährliches Gift? Weshalb darf es Menschen verabreicht werden?
Der Name Botulinumtoxin bedeutet übersetzt „Wurstgift“ und leitet sich aus lateinisch botulus = Wurst und toxin = Gift her. Es ist ein Protein, das von dem Bakterium Clostridium botulinum produziert wird. Dass mit seiner Hilfe Muskeln ausgebremst werden können, stellte der Landarzt Justinus Kerner 1820 fest. Er untersuchte damals Fälle, bei denen Menschen an Atemlähmung gestorben waren, nachdem sie verdorbene Wurstwaren gegessen hatten. „Wir wenden Botulinumtoxin heute abermillionenfach verdünnt an. Und es wird nicht über den Verdauungstrakt aufgenommen, sondern gezielt gespritzt“, sagt der Düsseldorfer Dermatologe Dr. Said Hilton. Er zitiert den legendären Arzt Paracelsus: „Die Dosis macht das Gift“.
Gibt es verschiedene Sorten?
„Es existieren verschiedene Unterformen des Stoffs, klinisch nutzbar ist allerdings nur der Typ A“, sagt Dr. Volker Alt, Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie in der Düsseldorfer Kö-Klinik. Drei etablierte Hersteller aus Deutschland, Großbritannien und den USA stellen den Wirkstoff in gereinigter und kontrollierter Form her. Said Hilton warnt vor gefährlichen, gefälschten Produkten aus Asien.
Wie wirkt Botulinumtoxin?
Botulinumtoxin hemmt die Signalübertragung von den Nerven auf die Muskeln durch Blockade des Botenstoffes Acetylcholin (ACh). Die Folge: Der Muskel kann eine Zeitlang nur noch eingeschränkt arbeiten. Das ist an verschiedenen Stellen des Körpers hilfreich – vor allem dort, wo Muskeln oder Schweißdrüsen überaktiv sind.
Bei welchen Erkrankungen kann es hilfreich sein?
Es gibt verschiedene Anwendungen: etwa bei einer Blasenschwäche. Wird Botulinumtoxin an verschiedene Stellen der Blasenmuskulatur gespritzt, kann sich diese lockern und in der Blase wird wieder mehr Urin über einen längeren Zeitraum
gespeichert. Dr. Markus Ebke, Chefarzt für Neurologie und Reha-Mediziner an der Rhein-Sieg-Klinik in Nümbrecht, ist glücklich, damit ein zugelassenes Medikament zu haben, das spastische Muskelverkrampfungen nach Schlaganfällen entspannt und auch bei Bewegungsstörungen (Dystonien) hilft: „Manche Patienten mit Verkrampfungen in den Beinen können dadurch wieder gehen.“ International durchgeführte Studien belegen nach seinen Worten den Erfolg. Der Dermatologe Said Hilton macht sich diesen Effekt auch bei der Behandlung des übermäßigen Schwitzens (Hyperhidrose) an durch Acetylcholin gesteuerten Schweißdrüsen zunutze; bei manchen Arten von Migräne gilt Botox ebenfalls als Therapiemöglichkeit. Dr. Alt spritzt es Menschen, die nachts krampfhaft mit den Zähnen knirschen, in die Kaumuskeln.
Warum und wie glättet es Falten in der Ästhetik?
„Mit Botulinumtoxin lassen sich nur die Falten behandeln, die durch überaktive Muskeln entstehen – also etwa die berühmten ,Krähenfüße‘ rund um die Augen oder die ,Zornesfalte‘ zwischen den Brauen“, erklärt Hautarzt Dr. Hilton. Weil sich die Haut dadurch ständig zusammenzieht, entstehen Dellen oder Rillen. Wird sie mithilfe von Botox ruhig gestellt, weil die dazugehörigen Muskeln eine Pause machen, können sich die Kollagenfasern darin wieder regenerieren und die Haut sieht entspannter aus. So genannte Filler, also Füllstoffe, sollen diese Wirkung unterstützen. Hilton betont: „Wir legen die Muskeln nicht lahm, sondern bremsen sie nur so viel wie nötig aus.“ So soll verhindert werden, dass Gesichter wie „eingefroren“ wirken.
Welche Nebenwirkungen gibt es?
An der Einstichstelle können vorübergehend kleine Blutergüsse entstehen, wenn der Anwender ein Gefäß trifft. „Auf jeden Fall sollten unerwünschte Effekte, zum Beispiel ein vorübergehendes Hängen des Augenlids, durch fachgerechte Behandlung vermieden werden“, sagt Volker Alt. Die Autoren des Buchs „Schönheit – die Versprechen der Beauty-Industrie“, Dr. Hans Weiss und Dr. Ingeborg Lackinger Karger warnen: Wer sich Botox nicht von qualifizierten Fachleuten spritzen lässt, riskiert eine zeitweilige Entstellung des Gesichts oder einen Mimikverlust.
Wie lange wirkt Botulinumtoxin und wie oft werden Behandlungen wiederholt?
Nach drei bis vier, zuweilen nach sechs Monaten lässt die Wirkung nach – doch wiederholt werden muss die Behandlung dann in immer größeren Intervallen, sagt Experte Said Hilton. Denn: Die Beschwerden können mit der Zeit nachlassen, weil der Körper es sich mithilfe von Botulinumtoxin mit der Zeit abgewöhnt, die Muskeln übermäßig anzuspannen.
Gibt es Fälle, in denen es nicht angewendet werden sollte?
Schwangere und stillende Mütter sollten keine Botulinumtoxin-Spritzen bekommen. „Man sollte keine Blutverdünner einnehmen, keinen Infekt haben und nicht durch mögliche epileptische Anfälle beim Spritzen gefährdet sein“, sagt Dermatologe Said Hilton.
Muss man alle Behandlungen bezahlen und was kosten sie?
Medizinische Therapien – etwa bei spastischen Verkrampfungen – zahlt die Krankenkasse. Ästhetische Behandlungen kosten ab 250 bis zu 1000 Euro.