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Der Mann, der bei Bravo Dr. Sommer war

Der Mann, der bei Bravo Dr. Sommer war

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Foto: WAZ

Essen. Er ist der bekannteste Arzt Deutschlands. Dabei gibt es ihn eigentlich gar nicht. Vor 40 Jahren nahm Dr. Sommer seine Aufklärungsarbeit für die Jugendzeitschrift „Bravo“ auf. In Wahrheit heißt er Dr. Martin Goldstein – wir haben ihn besucht.

Der Mann, der „Doktor Sommer“ war, ist mittlerweile 82. Was ihn nicht daran hindert, in Workerhose und Schlabberhemd die Tür zu öffnen. Den Lebenslauf macht er kurz. Geboren 1927 in Bielefeld hat er das Dritte Reich „überlebt”. Für einen, den die Nazis als „Mischling 1. Grades” eingestuft haben, keine Selbstverständlichkeit. Nach dem Krieg studiert Goldstein Medizin, landet aber zunächst in der christlichen Jugendarbeit. „Aus Idealismus“, sagt er.

In einfachen Worten

Daneben erstellt Goldstein in amtlichem Auftrag eine Studie über der Stand der Sexualaufklärung in Deutschland. Das Ergebnis findet er „erschreckend” Aus diesem Grund schreibt er selbst ein Aufklärungsbuch. „In ganz einfachen Worten.” Gerade deshalb wird „Anders als bei Schmetterlingen” ein Erfolg. „Dann rief die Bravo an und wollte mich engagieren.”

Die Teenagerpostille tut sich damals schwer mit dem Thema Aufklärung. Zwar gibt es schon 1962 den „Knigge für Verliebte”. Doch dort empfiehlt ein gewisser Dr. Christoph Vollmer noch kalte Duschen gegen Onanie. Die Zahl der Briefe mit Anfragen beschränkt sich dann auch auf eine Handvoll im Monat.

5000 Anfragen im Monat

Das ändert sich unter Goldstein. Weil er eine Praxis betreibt, will er nicht unter eigenem Namen beraten. „Was dich bewegt. . . Sprechstunde bei Dr. Jochen Sommer” heißt deshalb die Rubrik, die er einführt. Dort wird kein Zeigefinger erhoben, nicht gemahnt, nicht gewertet. Es wird auch nicht nur zugehört, es wird „gelauscht”. „Zwischen den Zeilen gelesen.” Was weiß der Briefeschreiber schon, und woher? Braucht er Bestätigung, Trost oder Information? Dann wird beraten. Penis zu klein? Angst vor dem ersten Mal? Schwanger durch verschlucktes Sperma? Nichts ist tabu, kein Problem zu profan, manche Lösung provokant.

Binnen kürzester Zeit schwillt die Zahl der Anfragen auf 5000 Briefe pro Monat an. Viel zu viele, um sie zu veröffentlichen und „allein nicht zu bewältigen”. Also werden neben Düsseldorf auch in München Teams aus Psychologen, Pädagogen und Sozialarbeitern zusammengestellt und 150 Musterbriefe entwickelt. „So konnten wir jede Anfrage persönlich beantworten.”

Später informiert neben Dr. Sommer auch Dr. Alexander Korff – ebenfalls ein Pseudonym für Goldstein. Nicht rein wissenschaftlich sondern anhand von echten Beispielen wird die Jugend in langen Geschichten aufgeklärt. Manchmal so gewagt, dass die Hefte indiziert werden. 1984 bekommt die Bravo einen neuen Chef. Er lässt auch andere Experten unter dem Namen Dr. Sommer schreiben. Goldstein ist sauer und geht. Die Rubrik bleibt.

Nach seiner Zeit als „Briefkastenonkel” hat der Westfale bis vor neun Jahren in seiner eigenen Praxis als Therapeut in Düsseldorf gearbeitet. Zum aktuellen Dr. Sommer-Team will sich Goldstein nicht groß äußern. „Fachlich richtig aber nicht mein Stil”, sagt er nur.

Neues Buch geschrieben

Seine eigene Arbeit als Dr. Sommer nennt er mittlerweile „Flickwerk” und spricht von „falschen Ansätzen”. Die seiner Meinung nach zutreffenden hat er in seinem gerade erschienenen Buch „Teenagerliebe” zusammengefasst. Dort fordert er eine „Begleitung mit ganzheitlichem Ansatz”, in der „Sensualität vor Sexualität” steht. Eine Liebesschule, wie manche indianische Kulturen sie haben. Wo schon 11- bis 14-Jährige lernen, was in ihnen vorgeht, was ihr Körper kann und der des anderen Geschlechts. Dass er damit selbst im Jahr 2009 provoziert, hat er längst gemerkt. Schon weil er lange keinen Verlag gefunden hat, der sein Buch veröffentlichen wollte.

Dabei ist Aufklärung heute so wichtig wie vor 40 Jahren, findet Goldstein. „Die Teenager kennen tausend Liebestechniken. Doch in einer Beziehung nutzen ihnen die wenig.” Da kann ausnahmsweise auch das Internet nicht helfen. Weil im weltweiten Datennetz zwar alles zu sehen ist und viele zuhören. Aber kaum einer lauscht.

Und das will die Jugend von heute vom Dr.-Sommer-Team wissen: