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Der Mann, der Meissen-Porzellan neu erfand

Der Mann, der Meissen-Porzellan neu erfand

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Foto: Getty Images

Köln. 

Er kam als Sanierer und hat die Porzellan-Manufaktur Meissen vor dem Niedergang gestoppt: Christian Kurtzke.

„Ich setz’ mal eben meine Leuchten-Brille auf”, sagt Christian Kurtzke. Noch bevor der Mann den Satz ausgesprochen hat, springt er auf, läuft los und bleibt abrupt vor einem Buddha stehen. Nicht irgendeinem. Dem weltbekannten, wippenden, die Zunge herausstreckenden Meissen-Buddha aus Porzellan, den die bekannteste und älteste deutsche Manufaktur Ende des 19. Jahrhunderts erstmals verkaufte. Ein paar dahingeworfene Bleistiftstriche später hat die Skulptur einen Schirm. Nicht irgendeinen. Einen Lampenschirm.

Kurtzke redet, Kurtzke zeichnet, Kurtzke schwelgt in Visionen. Spricht über Tradition und Innovation. Sagt Sätze wie „Wir sind zurzeit dabei, uns neu zu erfinden” und „Ich weiß, das wird perfekt”. Das mag fast arrogant anmuten, wäre aber falsch interpretiert. Der 41-jährige Kurtzke kam 2008 als Sanierer der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meissen. Das Traditionsunternehmen stand kurz vor seinem 300. Geburtstag vor dem Ruin. Kurtzke, der studierte Elektrotechniker, der Betriebswirt und Philosoph hat den Niedergang gestoppt. „Tagesaktuell wächst unser Geschäft in Deutschland um 30 Prozent.”

Natürlich hat er für diesen Aufschwung Menschen entlassen müssen. 800 Mitarbeiter waren es 2009. Heute sind es 604. „Meissen wurde bisher reduziert auf Tisch und Tafel”, sagt er. Vergangenheit. Denn in den letzten zwei Jahren hat Kurtzke sich vorübergend unterschiedliche Brillen aufgesetzt. Und dem Traditionshaus neue Märkte erschlossen. „Ich entdecke die Schätze neu”, sagt der Vater zweier Kinder selbstbewusst. 800 000 Formen sind inventarisiert, 200 000 Produkte lagern in den Archiven, 3000 Dekore wurden von Kunstmalern in Sachsen kreiert. „Wir können jede Form der Welt in jeder Farbe gestalten.” Zurück in die Zukunft. Friedrich Böttger, der 1708 im einsamen Verlies August des Starken das chinesische Geheimnis des weißen Goldes ergründen sollte, brachte damals nur ein schokofarbenes Steinzeug zustande. Mit Diamanten und Edelsteinen verziert liebten die Damen am Hofe diesen Schmuck. Neue Kollektionen aus alten Formen und Vorbildern hat Kurtzke jetzt auflegen lassen. „Wir haben die besten Juweliere Italiens überzeugt, unser Sortiment zu verkaufen. Die Leute sind begeistert”, berichtet er. Selbst Prominente lieben Meissen-Möpse am Band. Bei einem Berlin-Besuch kaufte Actionheld Sylvester Stallone Frau den Kindern gleich mehrere Porzellan-Möpse.

Kurtzke ist wieder aufgesprungen, holt ein schlichtes, weißes Sushi-Set aus dem Regal. „Das haben wir früher einmal als Schreibschale verkauft”, erklärt er begeistert. Die Handwaschschale wird zur Müslischale, 150 Jahre alte Mokkatässchen entwickeln sich als Espresso-Tassen zum Topseller 2009. Bürgerlich bieder war gestern. „35 Prozent unserer Kunden sind inzwischen unter 40 Jahren”, sagt er. Am Ende seiner Umstrukturierungsphase ist Kurtzke noch lange nicht angekommen.

Espresso statt Mokka

Anfang 2011 wird die Villa Meissen in Mailand eröffnet. „Von dort werden wir den weltweiten Vertrieb organisieren”, dort soll mit Architektur und Design ein neues Ge-schäftsfeld erschlossen werden. „Mailand ist das Mekka für Wohndesign”, erklärt Kurtzke. Und hängt verschmitzt lächelnd sein häufig gefragtes „Verstehen Sie?” an.

Keine Angst: Auf Zwiebelmuster und Streublumen setzt er weiterhin. Auch auf die Manufaktur an dem 300 Jahre alten Stammsitz in Meissen. „Wer in der Heimat nicht stark ist, kann auch im Ausland nicht wachsen.” Und wachsen will er. In zehn Jahren zur weltweit führenden Manufaktur. Mal schauen, welche Brillen er bis dahin noch aufsetzen wird.