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Die Zopfgeld-Jäger – Mafia raubt Frauen die Haare

Die Zopfgeld-Jäger – Mafia raubt Frauen die Haare

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131307431 Foto: afp
Die Mafia in Lateinamerika hat es neuerdings auf Zöpfe abgesehen. Mädchen wird sogar vom fahrenden Motorrad aus der Pferdeschwanz gestohlen. Denn die Nachfrage nach Echthaar für Perücken oder Extensions steigt. Allein in den USA wurden 2011 Haare im Wert von 1,3 Millionen Dollar umgesetzt.

Bogotá/Caracas. 

Das Spektrum der Kriminalität ist um eine bizarre Variante reicher geworden: Vor allem in Kolumbien und Venezuela werden immer mehr junge Frauen mit langen Haaren Opfer von Tätern, die ihnen auf offener Straße mit Schere oder Messer an die Mähne gehen.

Sie sei in ihrer Heimatstadt Barranquilla auf einer belebten Straße unterwegs gewesen, berichtet die 22-jährige Kolumbianerin Arlén Luna, und wegen der Hitze habe sie ihr Haar zu einem Zopf zusammengebunden. Da sei von hinten ein Moped gekommen: „Plötzlich spüre ich kaltes Metall im Nacken, und dann zieht jemand so fest an meinen Haaren, dass ich fast zu Boden falle.“ Ehe die Studentin es sich versieht, sind das Moped und die Räuber mit ihrem Zopf schon im Gewühl verschwunden.

Geschichten wie diese hört man in Kolumbien überall. Besonders viele Fälle von Haar-Raub werden aus Cali und Popayán im Südwesten des Landes gemeldet. Aber auch in der Hauptstadt Bogotá und in Medellín sind die Zopfgeldjäger unterwegs.

In Venezuela werden die Überfälle wie Vergewaltigungen geahndet

Denn die Nachfrage nach Echthaar für Perücken und Verlängerungen, sogenannte „Extensions“, steigt. Schmückten sich früher nur Schönheitsköniginnen und Profi-Models mit fremdem Haar, ist es heute ein beliebtes Mode-Accessoire. In Ländern wie Kolumbien, Venezuela und auch Brasilien gelten lange, glatte und vor allem dichte Haare als Schönheitsideal. „Kaufe Frauenhaar – in Büscheln oder als Ganzes“, suchen kolumbianische Friseurgeschäfte gezielt nach Haar-Spenderinnen. Umgerechnet bis zu 500 Dollar pro Kopf werden gezahlt.

Und der Markt ist keineswegs auf die Region beschränkt. Die USA haben seit 2011 Haare im Wert von 1,3 Millionen Dollar importiert. In Großbritannien werden mit Echthaarverlängerungen jedes Jahr bis zu 60 Millionen Pfund umgesetzt – und das Material wächst nicht nur auf einheimischen Schädeln.

Wenn mit einem einzigen Scheren-Schnipps so viel Geld zu verdienen ist, sind in Lateinamerika die Mafiabanden nicht weit. In Kolumbiens Nachbarland Venezuela haben die Haar-Diebstähle eine solche Dimension angenommen, dass Präsident Nicolás Maduro die Sicherheitskräfte öffentlich aufforderte, die Täter aufzuspüren. In der Öl-Metropole Maracaibo setzt Bürgermeisterin Eveling Trejo de Rosales sogar verdeckte Ermittler ein. Bis zu zwölf Jahren Haft drohen den Haar-Räubern. Denn nach venezolanischem Recht werden die Überfälle wie Vergewaltigungen geahndet.

Die kurzen Haare als Stigma der Armut

Aber auch der legale Handel mit Echthaar birgt sozialen Sprengstoff, denn meist sind es Frauen aus ärmeren Verhältnissen, die zur Schere greifen. Die Händler in Kolumbien etwa sammeln besonders viele Zöpfe von den Eingeborenen aus dem Chocó-Distrikt an der Pazifikküste ein. Es wird berichtet, dass die Frauen vom Stamm der Citará Embera sich hernach so lange vor den Männern verstecken, bis ihr Haar wieder nachgewachsen ist.