Darmstadt.
Angeklagt des Geschlechtsverkehrs. Die Sängerin Nadja Benaissa hatte Sex und zwar ungeschützten. Daher muss sich die HIV-Infizierte vor dem Jugendschöffengericht Darmstadt verantworten.
Kein Wunder, dass Benaissa in ihrer lila Bluse anzusehen ist: Dies ist der wohl unangenehmste Auftritt des „No Angels“-Stars. Sichtlich nervös atmet sie tief durch, verbirgt die Hände im Schoß, lächelt schüchtern in den vollbesetzten Saal. Aber sie versteckt sich nicht, die Lockenmähne hat sie zurückgebunden, jeder kann ihr ins Gesicht sehen, und als sie die Stimme erhebt, ist die erstaunlich tief und ruhig und kippt nur ein einziges Mal. „Es tut mir von Herzen leid“, sagt sie da, spricht später von schweren Schuldgefühlen.
Trotzdem lässt sie das Wichtigste ihren Anwalt erklären: Ihr Umgang mit der Infektion sei falsch gewesen, „ich hätte verantwortungsvoller damit umgehen müssen“. Niemals sei es ihre Absicht gewesen, jemanden anzustecken. Aber auch, weil Ärzte ihr gesagt hätten, dieses Risiko sei bei ihr eher gering, sei sie mit der Verhütung wohl „zu sorglos“ gewesen. In der Regel habe sie Intimkontakte nur mit Kondomen gehabt; die Männer selbst hätten sie darauf aber „eigentlich nie“ angesprochen: „Es war immer ich, die auf Kondomen bestehen musste.“ Und, nur ein kleiner Nebensatz ist das, sie hätte doch auch an eine „Mitverantwortung“ ihrer Partner gedacht…
Outing oder Anzeige
Dazu hat der Mann, den sie womöglich 2004 angesteckt hat und der sie 2008 anzeigte, wenig zu sagen. Das Thema Verhütung sei „nicht angesprochen“ worden, sagt der 34-Jährige auf Nachfrage, das habe sich „von Fall zu Fall“ ergeben. Alle Partnerinnen, die er nach Benaissa hatte, habe er später zu einem Aids-Test begleitet. Die Beziehung zu Benaissa sei indes gar keine gewesen, erklärt er, man habe lediglich einige Male Sex gehabt, bis die Sängerin über eine Fernsehshow einen anderen kennengelernt habe. Auch mit diesem Mann hatte sie laut Anklage Intimkontakt, auch er ist infiziert – ob von ihr, ist allerdings nicht mehr zu klären.
Wut und Verzweiflung sprechen aus dem Zeugen, der über ein Jahr brauchte, um mit seiner Diagnose zurechtzukommen. „Ich wusste nicht, ob ich morgen tot bin.“ Als niedergeschlagen und reizbar beschreibt ihn sein Bruder, „er hat sich aus dem Leben zurückgezogen“. Der Verdienst des Selbstständigen soll um über die Hälfte zurückgegangen sein. Doch um Geld, erklärt der 34-Jährige, gehe es ihm nicht. Zwar hatte er der Sängerin ein Ultimatum gestellt: Öffentliches Outing und Unterstützung der Aids-Hilfe oder Anzeige, nun aber sagt er nur: „Du hast mir so viel Leid gebracht. Alles andere als ein Geständnis wäre lächerlich gewesen.“
Dass Nadja Benaissa so lange schwieg, hat viel mit ihrer Lebensgeschichte zu tun, die schon mit 17 eine bewegte war: Jahrelang drogenabhängig ist sie, als sie 1999 erfährt, dass sie schwanger ist – und HIV-positiv. Nach der Geburt einer gesunden Tochter will sie nur noch eins: ein normales Leben. Und dass das Kind nicht ausgegrenzt wird. Sie redet nicht über die Infektion, will niemanden belasten, selbst am liebsten verdrängen. „Ein Ausbruch der Krankheit war nicht zu erwarten“, also sagt die junge Frau nichts.
Noch mehr aber liegt das am Licht der Öffentlichkeit, das ohnehin schon grell auf den „No Angels“-Star scheint: Ein Outing, hat man ihr offenbar immer wieder nahe gelegt, bedeute „das Karriereende für die gesamte Band“. Das „Umfeld“, Management also und Berater, habe „darauf bestanden zu schweigen“, ein Bekanntwerden der „Krankheit“ hätte „negative Folgen für alle“. Die „Krankheit“ sagt Benaissa jetzt, die zuletzt darauf bedacht war, den Unterschied zu betonen: Sie sei infiziert, aber nicht krank. Vor Gericht aber wird klar: Das HI-Virus zwang die 28-Jährige schon vor Jahren, mit der Einnahme schwerer Medikamente zu beginnen, zwang sie seither mehrfach in die Knie und erst im Mai dazu, eine Tournee abzusagen.
Ein gefallener Engel
Ein gefallener Engel, möchte man denken, dabei treten die „No Angels“ ja gerade damit an, „Keine Engel“ zu sein. Offenbar haben aber auch andere mitgeholfen, den Engel zu stürzen. Berater soll es gegeben haben, die den infizierten Ex-Partner unter Druck gesetzt haben sollen. Boulevard-Reporter, die die Sängerin mit dem Gerücht der Infektion sogar erpressten. Und dann ist da noch eine Tante, nicht viel älter als Nadja selbst. Die „absolute Vertrauensperson“ sei sie gewesen, nun aber rutscht der Nichte das Wort „Morddrohung“ heraus. Auch die Tante habe sie erpresst, sie war es, die den Zeugen Jahre später warnte. Eine gute Tat? Vielleicht, aber schlecht gemeint. Was genau aber zwischen den beiden Frauen schwelt, bleibt unbekannt: Für die Aussage der Tante wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Ihre Angaben zum Intimleben der Benaissa sollen deutlich detaillierter sein als die des Staatsanwalts. Und immerhin tagt hier ein Jugendschöffengericht.