Fünf Liter am Tag? Die zehn größten Trink-Irrtümer bei Hitze
Genug Flüssigkeit ist bei sommerlichen Temperaturen überlebenswichtig. Viel hilft viel – dieses Motto ist weit verbreitet. Wie in anderen Fällen stimmt es aber auch hier nur teilweise. Was es im Hochsommer sonst noch zu beachten gilt, erklärt ein Ernährungswissenschaftler.
Essen/Duisburg.
Hauptsache erfrischen – in diesen Tagen verlässt kaum jemand das Haus ohne kühles Getränk. Und das ist gut so, denn wer zu wenig trinkt, verliert lebenswichtige Mineralstoffe. Schon ein Prozent zu wenig Flüssigkeit macht sich bemerkbar – durch ganze 30 Prozent Leistungsabfall. Kopfschmerzen, Schwindel und eingeschränkte Reaktionsfähigkeit können weitere Folgen sein. Damit die während der momentanen Hitzewelle ausbleiben, räumt Ernährungsexperte Michael Pagelsdorf mit zehn großen Trink-Irrtümern auf. Er hat das Duisburger Institut für angewandte Gesundheitswissenschaften „Nutriville“ gegründet.
Regel Nummer eins: So viel trinken wie möglich
Der größte Trink-Irrtum – sagt Ernährungswissenschaftler Michael Pagelsdorf. Oft schwanken Empfehlungen zwischen zweieinhalb und fünf Litern Trinkmenge an heißen Tagen. Das ist zu viel, sagt Pagelsdorf: „Dabei bleibt außer acht, dass die meisten Menschen eine enorme Menge an Flüssigkeit über die Nahrung aufnehmen.“ Wer viel Rohkost und Obst isst, für den sollten zwei Liter ausreichen. Wichtiger ist, was außer Wasser ins Glas kommt: Saftschorlen liefern nicht nur Flüssigkeit, sondern auch Energie. Und Apfelsaft enthält zusätzlich Kalium, ist also fast ein Muss.
Wasser ohne Kohlensäure ist gesünder
Auch das stimmt nicht ganz. Tatsächlich enthalten Mineralwasser mit Kohlensäure – der Name lässt er erahnen – mehr Mineralstoffe. In Wasser ohne Kohlensäure würden Magnesium, Kalium und Co. ausfällen – sprich, sie setzen sich am Boden ab. Da genau diese Stoffe an heißen Tagen schnell zur Mangelware im Körper werden, empfehlen Ernährungsforscher Wasser mit Kohlensäure. „Allerdings ist jedes Wasser an heißen Tagen geeigneter als Getränke mit viel Zucker“, schränkt Michael Pagelsdorf ein. „Limo und Cola entziehen dem Körper nämlich Flüssigkeit.“
Alkohol ist an heißen Tagen tabu
Entwarnung: Ein Radler am Abend muss sich niemand verkneifen. „Hier würde ich die alte Kaffeeregel anwenden“, rät Michael Pagelsdorf. Sprich: Pro halbem Liter Radler einen halben Liter Wasser dazu trinken – oder Wein gleich als Schorle. Denn tatsächlich entzieht Alkohol dem Körper Wasser. Da ist an heißen Tagen Ausgleich gefragt. Bei Wein können sich Männer am Richtwert von 0,3 Litern Wein orientieren, Frauen sollten nicht mehr als 0,2 Liter Wein trinken.
Je kälter, desto besser: An Sommertagen gehören Getränke ins Eisfach
Stimmt nicht. Wer eisgekühlten Tee oder Saft trinkt, strengt seinen Körper damit zusätzlich an. Denn der muss die niedrige Temperatur ausgleichen. In südlichen Ländern trinken die Menschen an besonders warmen Tagen sogar absichtlich Heißgetränke, zum Beispiel Pfefferminztee. „Wer wenig schwitzt, kann sich das ruhig zum Vorbild nehmen“, sagt Ernährungsexperte Michael Pagelsdorf.
Ein ganzer Liter am Morgen reicht für die nächsten Stunden
Nein – ein Mensch ist kein Kamel. Mit anderen Worten: Der menschliche Körper kann Wasser nicht speichern. „Einen Liter auf einmal zu trinken, macht keinen Sinn“, bestätigt Michael Pagelsdorf von „Nutriville“. Mineralstoffe wie Magnesium könne der Körper zwar speichern, die Flüssigkeit selbst aber scheidet er sofort wieder aus. Daher ist es sinnvoller, über den ganzen Tag verteilt gleichmäßig zu trinken.
Wer schwimmen geht oder zweimal täglich duscht, muss nicht so viel trinken
Das ist Unsinn. Dass der Körper über die Haut Wasser aufnimmt, bezeichnet Pagelsdorf als Aberglaube. „Das ist dasselbe wie bei Sauerstoff-Wässern: ein Gerücht, dass sich hartnäckig hält“, erklärt der Ernährungsforscher. Dusche, Pool und Planschbecken tragen also zur Erfrischung bei. Getränke können sie aber nicht ersetzen.
Auf Kaffee verzichten Sonnenanbeter am besten ganz
Stimmt nicht. Diese oft verbreitete vermeintliche Weisheit gilt unter Experten als überholt. Koffein regt den Kreislauf an. Und laut offiziellen Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung entzieht Kaffee dem Körper keine Flüssigkeit. „Als Durstlöscher empfehle ich Kaffee trotzdem nicht“, sagt Michael Pagelsdorf. Doch wer ohne den Kaffee-Pott am Morgen nicht wach wird oder nachmittags Lust auf einen Eiskaffee verspürt, muss nicht verzichten. „Wie so oft macht die Dosis das Gift“, erklärt der Ernährungswissenschaftler. „Bis zu vier Tassen täglich sind kein Problem.“
Ältere Menschen müssen nicht so viel trinken wie die Jungen – schließlich haben sie weniger Durst
Gefährlicher Irrtum! Tatsächlich sind für den Ernährungsexperten ältere Menschen die Einzigen, für die heiße Tage wirklich gefährlich werden können. Denn: Ihr Durstgefühl trügt. Pagelsdorf beruft sich auf Untersuchungen in Pflegeheimen: „Viele ältere Menschen leiden etwa an Herzinsuffizienz. Ihr Herz kann also keinen Flüssigkeitsmangel kompensieren.“ Benommenheit und Dehydrierung sind mögliche Folgen.
Allerdings: Manche ältere Menschen sollten eher eine Flüssigkeitsbeschränkung beachten, etwa Patienten mit Nierenunterfunktion. „Es gibt Leute, die dürfen gar nicht mehr als einen Liter täglich trinken“, erklärt Pagelsdorf. Er rät zur Absprache mit dem Hausarzt. Betroffene sollten an heißen Tagen am besten nicht ins Freie gehen und sich möglichst wenig bewegen.
Wer abends nicht genug trinkt, kann über Nacht dehydrieren
Stimmt nicht. „Wer tagsüber genug getrunken hat, für den reicht die Versorgung auch über die Nacht“, sagt Michael Pagelsdorf. Das sogenannte antidiuretische Hormon, das der Körper nachts ausschüttet, schränkt den Harndrang grundsätzlich ein. „Das kennen Schichtarbeiter: Nachts müssen sie oftmals nicht zur Toilette, morgens dafür um so mehr“, erläutert Pagelsdorf. Und wer nachts schläft, verliert ohnehin weniger Wasser als tagsüber – auch wenn heiße Sommernächte ihn ins Schwitzen bringen.
Ich weiß das alles und versuch’s wirklich – aber ich kann einfach nicht genug trinken
Das sollte sich niemand einreden. Alle außer Kindern und älteren Menschen können sich in punkto Trinken auf ihren Körper verlassen. „Es bleibt die Ausnahme, dass junge, gesunde Menschen wegen Dehydrierung umkippen“, betont Ernährungswissenschaftler Pagelsdorf. Wer trotzdem unsicher ist, dem helfen drei einfache Tests: Weißer Belag auf der Zunge kann auf Flüssigkeitsmangel hindeuten. Der Urin sollte klar sein – ist er sehr gelb, bedeutet dieses Signal: mehr Wasser.
Bei Verdacht auf einen ernsthaften Mangel bringt der Hautfaltentest erste Aufklärung: kurz die Haut am Handrücken zwischen Daumen und Zeigefinger anheben. Bildet sich diese Hautfalte nicht sofort nach dem Loslassen wieder zurück, ist es Zeit, den Arzt zu rufen.