55 Sekunden lagen zwischen dem kleinen Niederländer Hein Siemons und dem Kinder-Star Heintje. Am Mittwoch wird der Sänger 60.
Aachen.
Es ist der 21. Dezember 1967. Draußen ist es kalt, in der guten Stube aber flimmert Herzerwärmendes über den Bildschirm. Dort läuft der „Goldene Schuss“, und wie immer sehen mehr als die Hälfte der Deutschen zu. Anneliese Rothenberger und Heino singen, das Nationalballett der Philippinen tanzt, und dann kommt auch noch ein 12-Jähriger aus den Niederlanden auf die Bühne und bittet seine Mutter, doch bitte nicht um ihren Sohn zu weinen.
„Mama“ heißt die Nummer, ist ein altes italienisches Volkslied, für das der Texter Bruno Balz Anfang der 1940er eine deutsche Fassung geschrieben hat. Hendrik Nikolaas Theodoor Simons heißt der junge Mann, der es golckenhell und hoch singt, wenn auch in einer etwas verkürzten Version. „Ich hatte nur 55 Sekunden Zeit für mein Lied.“ Das reicht. Knapp eine Minute später hat Deutschland einen neuen Star. Heintje. Heute wird er 60 Jahre.
Kein anderer Song verkauft sich 1968 besser als „Mama“
Dreifacher Vater ist er mittlerweile, Opa bald auch, aber trotzdem gibt es immer noch Menschen, die ihn mit Heintje ansprechen. „Kein Problem“, winkt der ehemalige Kinderstar ab, der sich heute selber Hein Simons nennt. „Das ist eben so.“ Er singt ja auch immer noch ein Medley seiner alten Hits, wenn er eines seiner Konzerte gibt. Darin verspricht er, „Ich bau dir ein Schloss“, fordert „Du sollst nicht weinen“ oder schmeichelt „Aber heidschi bumbeitschi“. „Achteinhalb Minuten gehören Heintje bei jedem Auftritt. Die Leute erwarten das einfach“, hat der Niederländer festgestellt. Er habe auch keinen Grund, nicht zu seiner Vergangenheit zu stehen. „Das war eine fantastische Zeit.“
Denn „Mama“ wird ein Superhit. Kein anderer Song verkauft sich 1968 besser. Und auch die Nachfolger stürmen die Hitparade. Heintje wird „das nette Wunschkind von der nächsten Ecke“, der Sohn oder Enkel, den jeder gerne hätte. Erst später wird bekannt, dass er nicht so harmlos war, wie er aussah. Mit fünfzehn Jahren der erste Sex, mit achtzehn Jahren nach eigenen Worten schon „unzählige Affären“. „Wild“ nennt er sein damaliges Leben.
Wenn er singt, ist davon nicht viel zu spüren. Er beschwört Idylle, erfüllt Träume, schafft Erinnerungen. „Mama“ wird – neben Händels „Largo“ lange Zeit zur beliebtesten Musik in deutschen Leichenhallen. Der stets fröhliche Junge mit den etwas großen Schneidezähnen verkauft 40 Millionen Platten, dreht mehrere Filme und könnte die Wände seiner Wohnung mit Goldenen Schallplatten tapezieren. Wenn er denn eine eigene Wohnung hätte.
Mädchen kreischen, Mütter seufzen, Großmütter weinen
Heintje aber wohnt bei Mama und Papa und kriegt zwei Gulden Taschengeld die Woche. Seine Gagen legt ein Manager mit dem passenden Namen Addy Kleijngeld auf Sperrkonten. „Ich hatte das Glück, dass ich Leute um mich hatte, die es wirklich gut mit mir meinten und sich nicht an mir bereichern wollten“, sagt Simon.
Als kleiner Junge geht er auf Tour, betört in drei Oktaven die Frauen. Kleine Mädchen kreischen, Mütter seufzen, Großmütter weinen, während Kritiker einen „Rückfall in den schlechten Geschmack der dreißiger Jahre“ beklagen. „Sonnyboy der Witwen und Matronen“, tauft ihn „Der Spiegel“ und die „Hörzu“ fleht förmlich: „Wolle Gott, dass er nicht den Stimmbruch kriegt.“ Der fromme Wunsch aber bleibt unerfüllt. Mit 17 erwischt es auch Heintje. „Aber da“, gibt er unumwunden zu, „hatte ich finanziell bereits ausgesorgt.“
Eine neue CD erscheint in wenigen Wochen
Seitdem gilt, „alles kann, nichts muss“, sagt Simon. Im belgischen Ort Moresnet, unweit der deutschen Grenze, hat ganz in der Nähe seiner Kinder und der Ex-Frau er einen Pferdehof gekauft. „Seit ich als kleiner Junge ein Pony geschenkt bekommen habe liebe ich diese Tiere. So konnte ich zum zweiten Mal eine Leidenschaft zum Beruf machen.“
Zeit zu singen hat er trotzdem noch. Gerade erst hat er eine neue CD aufgenommen, die Anfang September erscheinen soll. „Vertrau auf dein Herz“, hat er sie genannt, was nicht einer gewissen Ironie entbehrt. Denn er selber konnte genau das nicht in den vergangenen Monaten. „Mein Herz machte mir Probleme“, erzählt der Sänger. Sind aber mittlerweile „überwunden“.
Simons wirkt entspannt, wenn er mit kaum noch hörbarem Akzent plaudert und erzählt, dass er seinen 60. in kleiner Runde feiern wird. „Mit zwölf Mann lecker essen gehen und anschließend ein paar Bier trinken.“ Materielle Wünsche hat er nicht, auch sonst ist er zufrieden. „Wenn mir jemand einen Vertrag vorlegt, in dem steht, dass alles so bleibt, wie es derzeit ist, ich würde sofort unterschreiben.“