„Liebe auf Distanz” bringt viele Chancen mit sich. Allerdings stecken in Fernbeziehungen auch Risiken.
Was sich liebt, das trennt sich – nach diesem Motto gestalten immer mehr Paare ihr Gefühlsleben. Etwa vier Millionen Deutsche lieben auf Distanz, haben zwei Wohnungen, meist in zwei Städten, müssen oder wollen regelmäßig voneinander Abschied nehmen. „Getrennt zusammenleben” (englisch: living apart together, kurz LAT), so vermuten Forscher wie der Ingoldstädter Theologe und Paarberater Peter Wendl („Gelingende Fernbeziehung”), ist eine Lebensform der Zukunft.
Generation mobil: Etwa ein Viertel aller 25- bis 30-Jährigen pendelt bereits zwischen Liebe und Karriere, arbeitsreichen Singlewochen und emotionsgeladenen Paarweekends. Sie „werden von den Fliehkräften des Marktes am dauerhaften Händchenhalten ebenso gehindert wie an der erfolgreichen Reproduktion”, befindet Autor Sascha Lehnartz (39) in seiner bissigen Gesellschaftsanalyse „Global Players”.
Insgesamt ist schon jeder sechste Erwerbstätige ein LAT, denn der Job oder die Karriere – vor allem bei Besserverdienern und solchen, die es werden wollen – hängt oft mit geographischem Fortgehen zusammen. Der globalisierte Kapitalismus fordert den flexiblen Menschen. Bei Doppelverdienern ist es nicht mehr selbstverständlich, dass die Frau der Karriere des Partners hinterherzieht, heißt es in einer Pendler-Studie der Uni Mainz.
Zudem lernen sich junge Menschen zunehmend über Flirtbörsen im Internet kennen, suchen den „perfekten Partner” und sind für ihr hochromantisches Liebesideal bereit, mit dem Herzen auf Achse zu gehen. Liebe auf Reisen – ist das das ultimative Glücksrezept im Zeitalter von Globalisierung und Individualisierung?
Trendiger Lifstyle, den Prominente vormachen
Zumindest die „Bunte”, Fachorgan in Herzensfragen, erkennt darin einen trendigen Lifestyle, den Prominenten vormachen: ZDF-Klatschreporterin Nina Ruge wohnte über Jahre in Mainz und getrennt von Lover und Ehemann Prof. Wolfgang Reitzle, der in London Ford auf Vordermann brachte.
Schauspielerin Gaby Dohm lebt seit zwölf Jahren „Liebe in Freiheit”, die 64-Jährige und ihr Lebensgefährte, Regisseur Peter Deutsch, haben in München zwei Wohnungen: „Ich will trotz Beziehung ein eigenes Leben leben.” Genau wie die Kölner Kollegin Mariele Millowitsch, die mit dem Juristen Alexander Isadi in einem Haus, aber getrennten Wohnungen lebt.
Entertainer Jürgen von der Lippe erklärt sein LAT-Dasein – er hat ein Domizil in Berlin, seine Partnerin Anne Dohrenkamp wohnt im Grünen – so: „Ich bin gelernter Junggeselle. Sie liebt Natur, ich bin ein Stadtmensch… Und dann verabreden wir uns wie ein Liebespaar an einem dieser Orte.”
Das klingt nach gereifter Liebe, die kompromissfähig ist. Ganz anders als das Beispiel Boris Becker (40). Der ewige Wimbledonsieger lebte mit seiner letzten Exfreundin wie gewohnt auf Distanz. Model Lilly Kerssenberg (31) war in London zu Hause, er im Rest der Welt, nur nie bei ihr.
Über diese freiwilligen Fernbeziehungen, sagt der holländische Soziologe Cees J. Straver, der die LATS für Europa entdeckte: „Man will die Freiheit haben, die Beziehung zu beenden, ohne dass man dann gezwungen ist, wegen der Finanzen oder des Hauses beieinander zu bleiben.”
Deutlicher wird US-Psychologe Alon Gratch. Für ihn versteckt sich hinter wiederholten Fernbeziehungen gern der Beziehungsflüchtling, der Nähe fürchtet und wie im Fall Bobbele wohl eine weitere kostenintensive Trennung. Gratch nennt das „virtuelle Liebe”, die es dank Distanz erlaubt, hemmungslos alle Phantasien vom perfekten Partner auf den fernen Geliebten zu projizieren, ohne sich über herumliegende Socken, eigene Macken oder die des anderen streiten und Verantwortung übernehmen zu müssen. Das Ideal des Verliebtseins ist wichtiger als die geliebte Person.
Beziehungskiller „Alltag” blieb auf der Strecke
Bestes Beispiel: Das on-off-Ehemodell Effenberg. Kicker Stefan und seine Claudia, geschiedene Strunz, schwärmten – in der „Bunten”, wo sonst – vom Liebesglück dank 7800 Kilometer Abstand zwischen Effes Domizil in Florida und ihrem Reihenhaus in Hamburg. Der Beziehungskiller „Alltag” blieb bei der Atlantiküberquerung auf der Strecke. Jede Wiederbegegnung feierte das Paar mit Champagner am Floridastrand und Sunset in Technicolorfarben. Bis Claudias Exgatte Klaus Strunz ihr 2007 per Gericht untersagte, samt seiner Kinder in die USA zu übersiedeln. Er fürchtete um die Nähe zu seinem Nachwuchs, sie fürchtete, dass ihr Effe statt ferner Liebe längst eine fremde Liebe in Florida vorzog.
Farbloser sieht der Alltag des Durchschnitts-LATs ohne Liebesprobleme in Florida aus. 60 Prozent aller Beziehungspendler – vor allem ab 35 – so die LAT-Studie aus Mainz, leben nur aus Jobgründen getrennt. Sie klagen zu 67 Prozent über Pendler-Stress, Entfremdung vom Partner und mangelnde Sozialkontakte. Zudem schlägt die Fernliebe dank Fahrtkosten, doppelter Haushalte und Telefonrechnungen mit bis zu 500 Euro monatlich zu Buche.
Pendler, so der Mainzer Soziologe Norbert F. Schneider, leiden unter den regelmäßigen Trennungen besonders und arbeiten am familienfernen Einsatzort bis zu zwölf Stunden pro Tag, um einsame Abende im Singleapartment zu meiden.
Fazit: Die Liebe auf Reisen ist nicht die Endstation wahrer Sehnsucht. Professor Schneider empfiehlt daher etwa das Abarbeiten einer 40-Stunden-Woche in vier Tagen: „Unternehmen sollten Mitverantwortung für eine Integration des Arbeits- und Familienlebens übernehmen. Beschäftigte, die nicht mit beruflich bedingten Familienproblemen zu kämpfen haben, weisen eine höhere Produktivität auf.”