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Jaycees schwerer Weg zurück ins Leben

Jaycees schwerer Weg zurück ins Leben

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Foto: AFP

Washington. Viel Zeit werden Jaycee Dugard und ihre Kinder brauchen, um dieses Trauma zu verarbeiten. „Es gibt drei Opfer, die zusammen ein neues Leben beginnen müssen”, sagte der Kinder-Psychologe Douglas Goldsmith. Seit ihrer Geburt hatten Jaycees Kinder mit einer Lüge gelebt.

Nie hatte Jaycee ihren heute 11- und 15-jährigen Töchtern erzählt, dass sie ihr Leben Jaycees Vergewaltigung verdankten. In den Augen der Kinder war die heute 29-jährige Mutter nur die große Schwester. Dass ihr Vater Jaycee vor 18 Jahren auf dem Weg zur Bushaltestelle unweit ihres Elternhauses brutal entführt hatte, sie über die Jahre missbrauchte und manipulierte, wird ihnen erst nach und nach bewusst werden. Als die Polizei Garrido unmittelbar im Anschluss an ein Verhör im Büro seines Bewährungshelfers verhaftete, war das tatsächlich ein Schock für Jaycee und ihre Töchter.

Die Kinder reagierten entsetzt

Jaycee, die in den Amtsräumen, getrennt von Garrido, ihre wahre Identität nach drängenden Fragen offenbart hatte, schrie auf und auch die Kinder reagierten entsetzt und wütend bei der Verhaftung ihres Vaters. Für Jaycees Stiefvater Carl Probyn eine durchaus nachvollziehbare Reaktion. „Sie waren schließlich eine Familie. Er hatte sie 18 Jahre und wir nur elf.” „Stockholm-Syndrom” nennen Psychologen dieses Phänomen, bei dem Opfer positive Gefühle für ihre Peiniger entwickeln. Dass Jaycee sich nach Probyns Worten tatsächlich schuldig fühlt, sich mit ihrem Entführer in der Gefangenschaft eingelassen zu haben, ihm in seiner Druckerei zur Hand ging und sogar mit Kunden Kontakt hatte, ohne um Hilfe zu bitten, sind Ausdruck dieser verzerrten Wahrnehmung.

Dabei, auch Probyn ist davon überzeugt, dürfte dieses Verhalten ihr letztlich das Leben gerettet haben. Auch Garridos heute 88-jähriger Vater traut seinem Sohn alles Schlechte einschließlich Mord zu. „Er könnte ein Serienkiller sein”, meinte der Vater. Den jahrelangen schweren Drogenmissbrauch seines Sohnes macht Manuel Garrido dafür verantwortlich. Unter LSD-Einfluss stand Garrido auch, als ein Polizist ihn 1976 wegen Vergewaltigung festnahm. Die damals 25-jährige Katie Hall beschrieb im US-Fernsehen, mit welch plumpem Trick Garrido sein Opfer in die Falle lockte. Auf einem Parkplatz sprach Garrido die blonde Frau an, bat um eine Mitfahrgelegenheit nach einer angeblichen Autopanne. Dann lotste er sie zu seinem Versteck, wo er über sie herfiel und missbrauchte.

Zu 50 Jahren Haft verurteilt

Ihren damaligen Peiniger, der anschließend zu 50 Jahren Haft verurteilt worden war, aber nach knapp elf Jahren auf Bewährung wieder freikam, plötzlich im Fernsehen als Entführer eines elfjährigen Kindes wiederzusehen, riss bei Katie alte Wunden auf. „Es war ein Schock. Er hätte mich umgebracht, wenn ich nicht entkommen wäre. Mich hatte er nur acht Stunden, Jaycee aber 18 Jahre lang.”

Auch Garridos erste Ehefrau Christine bezeichnete ihren Ex-Mann als sex-süchtiges „Monster”. Garrido räumte das selbst ein. In einem wirren, vierseitigen Schriftsatz, den er noch kurz vor seiner Verhaftung beim FBI abgab, bekannte er sich zu seinem früheren „aggressivem sexuellen Verhalten”. Doch inzwischen habe er diesen Trieb überwunden, behauptete der 58-Jährige, mehr noch: Ausgerechnet er empfahl sich dem FBI, um Sex-Verbrecher in den US-Haftanstalten zu therapieren.

Mit Leichenspürhunden sucht die Polizei derweil weiterhin auf Garridos Grundstück, aber auch auf der Nachbarparzelle nach etwaigen vergrabenen Opfern. Die Polizei vermutet eine Verbindung zwischen Garrido und einer Mordserie in den 90er Jahren vornehmlich an Prostituierten. Ein erster Knochenfund soll nun genauer analysiert werden. Noch ist nicht klar, ob der Knochen menschlicher Natur ist.

Fällen werden neu aufgerollt

Auch andere, bislang ungeklärte Fälle von lang zurückliegenden Kindesentführungen werden jetzt wieder neu aufgerollt. Die Polizei steht, nach den eingeräumten Ermittlungspannen im Fall Dugard, der mit ein bisschen mehr Gespür schon weit früher hätte gelöst werden können, unter erheblichem Druck. Ende der 90er Jahre waren nur ein paar Dutzend Meilen von Garridos Haus im Großraum San Francisco entfernt zwei junge Mädchen entführt worden, die bislang nicht wieder auftauchten. Sharon Murch, die verzweifelte Mutter eines der Kinder, hofft nun inständig, dass sich nach Garridos Verhaftung das Schicksal auch ihrer Tochter klärt, die Jaycee auf den ersten Blick tatsächlich sehr ähnlich sieht.

Zunehmend ins Blickfeld rückt mittlerweile aber auch Garridos Ehefrau Nancy (54). Garridos Bruder Ron nannte seine Schwägerin einen „Roboter, der alles tut, was er ihr sagt”. Die Polizei geht davon aus, dass Nancy, die selbst keine Kinder hat, Jaycee bei den beiden Entbindungen in dem Gartenversteck half, sie aber auch bewachte, als ihr Mann 1993, zwei Jahre nach der Entführung, wegen Verstößen gegen die Bewährungsauflagen für vier Monate in Haft musste. Auch ihr droht lebenslange Haft. In Kalifornien ist angesichts dieses monströsen Falls unterdessen eine scharfe Debatte entbrannt, ob tatsächlich in nächster Zeit rund 27000 Gefangene aus Spargründen vorzeitig aus der Haft entlassen werden sollen.