Berlin.
Die Tür aus Metall ist mit schwarzen Graffitibuchstaben besprüht. Sie schließt sich langsam, der Aufzug gleitet nach oben. Durch die Aufzugstür rollt eine junge, blonde Frau im Rollstuhl in eine Bürolandschaft. Ein- bis zweimal pro Woche arbeite sie hier, um aus den eigenen vier Wänden herauszukommen, sagt Laura Gehlhaar. Die vier Kilometer von ihrer Wohnung in Berlin zu ihrem Arbeitsplatz legt sie mit ihrem elektrischen Handbike zurück, das sie vor den Rollstuhl montieren kann.
Die gebürtige Düsseldorferin hat ein Buch geschrieben. Der Titel heißt: „Kann man da noch was machen? Geschichten aus dem Alltag einer Rollstuhlfahrerin.“ Das Schreiben sei eine Befreiung gewesen. Wie bereits in ihrem Blog „Frau Gehlhaar“ habe sie sich in ihrem Buch einmal richtig „austoben“ können.
Austoben, das heißt, klar und ohne Zurückhaltung Szenen aus ihrem Leben mit anderen Menschen teilen. In ihrem Buch berichtet sie, wie ihr Leben seit der Diagnose eines Arztes vor 13 Jahren verlief: „Mit spätestens Anfang 30 wird Laura im Rollstuhl sitzen.“
Mit zehn Jahren erfuhr Laura Gehlhaar von ihrer Muskelerkrankung. Ihre Mutter weinte, Laura verstand nicht, was an der Diagnose so schlimm sein könnte. In den nächsten Jahren fiel ihr das Laufen immer schwerer. Sie erfand Ausreden, um nicht auf Grillabende oder Shoppingtouren zu gehen.
In der zwölften Klasse beschloss sie, Psychologie und Sozialpädagogik zu studieren. Bei der Berufsberatung wurde ihr nahegelegt, dass sie anderen Menschen nicht helfen könne, wenn sie selbst Hilfe brauche. Nach dem Treffen schrie Laura Gehlhaar unter Tränen: „Jetzt erst recht!“
Sie habe lange gezögert, das Angebot anzunehmen und ein Buch zu schreiben. „Ich hatte Angst vor Verurteilung“, sagt Laura Gehlhaar. In ihrem Alltag werde sie oft in die Schublade „leidende, behinderte Frau“ gesteckt. „Was für mich Normalität ist, ist für andere eine Katastrophe“, sagt sie. Die einen würden sie bemitleiden, die anderen klopften ihr ermutigend auf die Schulter.
Dass die 33-Jährige immer wieder Männer über die Dating-App Tinder kennenlernte, liegt sicher nicht nur an den schlagfertigen Sätzen, die unter ihren Profilbildern stehen. Dass Laura Gehlhaar Erfolg hat, liegt auch daran, dass sie attraktiv ist. Immer wieder würden Menschen Dinge wie „Du Arme, so hübsch und dann im Rollstuhl“ zu ihr sagen. Die „Best of“-Sätze, die Menschen im Rollstuhl ständig hören, hat Laura Gehlhaar in einem „Rollstuhlfahrer-Bullshit-Bingo“ zusammengeschrieben. Dabei sind zum Beispiel „Also, ich könnte das nicht“ und „Kannst du Sex haben?“
Selbst Ärzte wissen oft nicht, wie sie mit der jungen Frau umgehen sollen. So sei eine Frauenärztin gar nicht erst auf die Idee gekommen, sie nach Sexualpartnern zu fragen.
„Menschen müssen damit aufhören, andere aufgrund eines bestimmten Merkmals zu definieren“, sagt Gehlhaar. Das könne sich nur ändern, wenn behinderte Menschen ein fester und normaler Bestandteil der Gesellschaft seien, der nicht automatisch alle Aufmerksamkeit auf sich ziehe.
Ihr Freund unterstützt sie
Ausruhen will sich die 33-Jährige nach der Veröffentlichung ihres ersten Buches nicht. „Ich muss mich an meine Grenzen bringen“, sagt sie. Sie träume von einer Reise durch die Südstaaten der USA.
Unterstützt wird die 33-Jährige von ihrem Freund – und nein, der habe keine Behinderung. Kennengelernt habe sie ihn vor eineinhalb Jahren über – Tinder. Mittlerweile wohnen beide zusammen. Kinder seien zurzeit nicht in Planung, dafür reizen Laura Gehlhaar zwei andere Projekte: eine Ausbildung als Sterbebegleiterin und die Heirat mit ihrem Freund.