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John Paul Getty war ein trauriger Milliardär

John Paul Getty war ein trauriger Milliardär

Im Alter von 54 Jahren und schwer krank ist John Paul Getty III. in England gestorben. Entführer schnitten ihm 1973 ein Ohr ab.

Essen/London. 

Er war reich. Steinreich. Aber glücklich war er nicht. „Den traurigsten Milliardär der Welt“ hat die Regenbogenpresse John Paul Getty III. in den letzten Jahren seines Lebens gerne genannt. Wenn es denn überhaupt noch ein Leben war, was er führte. Blind, an den Rollstuhl gefesselt, ist der 54-Jährige jetzt in seiner Villa im englischen Buckinghamshire gestorben. In Erinnerung bleibt er als der Teenager, dem Entführer ein Ohr abgeschnitten haben.

Verschleppt in die Berge

Früh am Morgen ist es, als Carabinieri am 15. Dezember 1973 einen zitternden jungen Mann mit lockigen Haaren an einer verschneiten Landstraße nahe des süditalienischen Lagonegro auflesen. „Ich bin Paul Getty“, bestätigt der frierende Junge, was die Polizisten längst ahnen. Denn dem Jungen fehlt das rechte Ohr.

138 Tage zuvor ist er gekidnappt worden, herausgerissen aus einem Leben, das aus Nichtstun, Drogenkonsum und Geldausgeben besteht. Vermutlich von der Mafia. Nachts um 3 Uhr entführen sie den Jungen auf der Piazza Farnese und verschleppen ihn in die Berge Kalabriens. Dann schicken sie ihre Lösegeldforderung: 17 Millionen Dollar. Viel zu viel für Pauls Vater, aber ein Klacks für seinen Großvater. Der Ölmagnat ist mehrfacher Milliardär, gilt damals als der reichste Mann der Welt. Doch er will nicht zahlen. „Ich habe 14 Enkelkinder. Wenn ich das Lösegeld zahlen würde, hätte ich bald 14 entführte Enkelkinder.“

Pauls Eltern bitten und betteln. Der Opa bleibt hart. Der Junge schreibt „Liebe Mami, ich will nicht sterben, bitte sag Großpapa, dass er das Lösegeld zahlt“. Doch Getty senior winkt ab, obwohl die Entführer ihre Forderung mittlerweile auf 3,4 Millionen Dollar gesenkt haben. Da greifen die Mafiosi zum Messer, schneiden ihrem Opfer das rechte Ohr ab und senden es einer römischen Tageszeitung. Wenn nicht endlich gezahlt werde, steht auf einem beiliegenden Zettel, „schicken wir den Jungen in Einzelteilen zurück“.

Widerwillig stellt der Großvater Geld zur Verfügung. Aber er will es zurück. Egal ob von seinem Sohn oder seinem Enkel. Hauptsache mit vier Prozent verzinst. Kurz nach der Zahlung wird der Teenager freigelassen. Als er sich bei seinem Großvater bedanken will, weist Getty senior den Anruf ab.

Die physischen Wunden der Entführung sind nach ein paar Monaten verheilt. Mit den psychischen hat der Enkel des reichsten Mannes länger zu kämpfen. Viel länger. Denn keiner ist da, der ihn auffängt. Er kann nicht vergessen, kann kaum schlafen, wird immer wieder von Alpträumen geplagt. So schlittert Getty III. in eine Spirale von Alkohol und Drogen. Zu Spitzenzeiten leert er täglich eine Flasche Whisky, bevor er sich anschließend mit Kokain zudröhnt. Kaum ist er 18, heiratet er gegen den Willen seiner Familie das um sechs Jahre ältere Model Gisela Zacher und wird Vater von zwei Söhnen. Der entsetzte Großvater enterbt ihn und auch sein Vater bricht verärgert jeden Kontakt zu ihm ab.

Sechs Wochen im Koma

Immer tiefer und schneller rutscht Getty III. ab. Er säuft, er kokst, schluckt Tabletten. Bis sein Körper nicht mehr kann. Vollgestopft mit Methadon und Valium erleidet er 1981 während eines Besuches in Los Angeles einen Hirnschlag und fällt sechs Wochen lang ins Koma. Als er wieder erwacht, kann er weder sehen noch gehen.

Aus dem Junkie ist ein mittelloser Pflegefall geworden, dessen Betreuung monatlich 25 000 Dollar kosten soll. Doch die will sein mittlerweile 500 Millionen Dollar schwerer Vater nicht übernehmen. „Mein Sohn hat sich doch selbst in diese Situation gebracht“, sagt Getty II. Der Fall kommt vor Gericht. „Sie sollten sich schämen“, schimpft der kalifornische Richter in der Verhandlung und verurteilt ihn zur Übernahme der Kosten.

Vater will nicht zahlen

Seit seinem Zusammenbruch ist nicht mehr viel zu hören von Getty III. Finanziell hat er spätestens seit dem Tod seines Vaters 2003 ausgesorgt. Doch kein Geld der Welt kann ihm nun noch helfen.

Freunde der Familie nennen Gettys Leben ein „Siechtum“ und seinen Tod „eine Erlösung“.