Prozess um Kachelmanns Spott über „Chemtrail“-Gläubige
Wetterexperte Jörg Kachelmann führt einen Prozess: Er bezeichnet Menschen, die an vergiftete Kondensstreifen, so genannte Chemtrails, glauben, als „Nazis und Verrückte“. Eine Bürgerinitiative hatte per einstweiliger Verfügung ein Verbot dieser Äußerungen erwirkt. Kachelmann legte Widerspruch ein. Am Mittwoch wird weiter verhandelt.
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Wer sogenannte „Chemtrails“ für echt hält, glaubt, Kondensstreifen von Flugezeugen seien in Wirklichkeit bösartige Chemiewolken. Verschwörungstheoretiker glauben, dass diese toxischen Wolken hoch über unseren Köpfen für Wettermanipulationen und schlimmere Bedrohungsszenarien verantwortlich sind.
Der Meteorologie-Experte Jörg Kachelmann hält Chemtrails für „absoluten Quatsch“ und die Menschen, die der Theorie anhängen, in den allermeisten Fällen für Neonazis. Wetterunternehmer und -moderator Jörg Kachelmann hat sich der Wahrheit über Chemtrails in kleinen Youtube-Videos mehrfach angenommen.
Bereits im vergangenen Jahr ging die Bürgerinitiative „Sauberer Himmel“ per einstweiliger Verfügung erfolgreich gegen Kachelmanns Äußerungen vor und ließ die Nazi-Vorwürfe wegen Verstoßes gegen Persönlichkeitsrechte verbieten. Kachelmann legte Widerspruch ein. Am Mittwoch wird vor dem Landgericht Berlin eine Entscheidung im Zivilrechtsprozess „Chemtrail-Verschwörer“ gegen Kachelmann erwartet.
Wie viele andere Internetseiten und Initiativen kämpft auch die Bürgerinitiative „sauberer Himmel“ für mehr Aufmerksamkeit für den vermeintlichen Skandal, der sich tagtäglich an unserem Himmel abspielen soll: „Unser Himmel – voll chemischer Wolken“, heißt es auf der Homepage der selbsternannten Chemstrail-Kritiker. Sie fühlen sich berufen, ein „Staatsgeheimnis“ der USA und weiteren NATO-Mitgliedsstaaten zu lüften: Mit Flugzeugen versprühen diese „Schurkenstaaten“ nach Ansicht der Verschwörungstheoretiker giftige Substanzen in der Luft, die sich dann ganz wie Kondensstreifen über den Himmel ausbreiten.
Je nach verschwörungstheoretischem Standpunkt dienen die giftigen Wolken der künstlichen Klimaregulierung, sollen das Bevölkerungswachstum eindämmen oder werden zu militärischen Zwecken genutzt.
Umweltbundesamt: Chemtrails sind reine Fiktion
Die Chemtrail-Theorien kursieren seit Jahren im Internet. Weil besorgte und aufgebrachte Bürger wiederholt bei Nichtregierungsorganisationen und Umweltverbänden vorstellig geworden sind, haben wiederholt unabhängige wie staatliche Institutionen Stellung zu dem Phänomen bezogen. Die Meinung ist einhellig: Chemtrails sind reine Fiktion, analysierte etwa das Umweltbundesamt unter Berufung auf die UN-Gesundheitsorganisation WHO und den Deutschen Wetterdienst. Auch Greenpeace hat wiederholt betont, die Existenz von Chemtrails entbehre jeglicher wissenschaftlicher Grundlage.
Für Kachelmann sind die waghalsigen Behauptungen über eine Verschwörung am Himmel ebenfalls Grund genug, sich bei Youtube zu Wort zu melden. Er bezeichnet die Theorien als bloße Angstmacherei. Was im Besten verschwörungstheoretischen Sinne als „gesunder Menschenverstand“ verkauft wird (schließlich hinterlassen doch die Flugzeuge weiße Schleierwolken, die sich auffällig lange halten, oder?), entlarvt Kachelmann schlicht als „ganz normale Kondensstreifen“, die die Flugzeuge in den Himmel schreiben. „Diese ganze Verschwörungstheorie ist vollkommener Schwachsinn“, sagt Kachelmann.
In feuchter Luft hielten sich die Wolkenstreifen besonders gut, lässt er wissen. Dass es mehr werden, liege schlicht daran, dass es heute mehr Flugverkehr gebe, als früher.
Chemtrail-Gläubige sind zu „80 Prozent Nazis“
Was die Verbreiter der Chemiewolken-Theorie betrifft, will Kachelmann kein Blatt vor den Mund nehmen. Er schätzt: „80 Prozent, die das behaupten, sind Nazis.“ Mit dem Verbreiten dieser Theorien würden Neonazis lediglich versuchen, Angst zu schüren: Amerika-Skeptiker, ökologisch Bewusste und Menschen, die sich sowieso viele Sorgen machen, könne man mit der „Quatsch-Idee“ erreichen.
Auch gegenüber der Bürgerinitiative „Sauberer Himmel“ hatte Kachelmann schwere Vorwürfe erhoben: Die Aktivisten hatten sich mit einer Anfrage an verschiedene Behörden und Organisationen gewandt und die Nachricht auch an Kachelmann übermittelt. Dieser hatte an denselben Empfängerkreis geantwortet und Vertreter der Chemtrail-Theorie als „Nazis und Verrückte“ bezeichnet.
Aktivisten wollen weiter gegen die „Nazi-Keule“ vorgehen
Die „Nazi-Keule“ wollten die Chemtrail-Aktivisten sich nicht gefallen lassen. Sie erwirkten vor dem Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung, die es Jörg Kachelmann im Oktober 2011 verbot, sie weiterhin als „Nazis und Verrückte“ zu bezeichnen. Das Landgericht Berlin hatte befunden, solche Äußerungen seien nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Kachelmann sieht das anders und legte Widerspruch gegen die Verfügung ein.
In der ersten mündlichen Verhandlung am 17. Februar wurde die Entscheidung aber zunächst bestätigt – aus rein formalen Gründen. Die Kläger beantragten ein sogenanntes Versäumnisurteil, weil der nicht anwesende Kachelmann seinem Anwalt keine Vollmacht ausgestellt hatte. Die Frage, inwieweit durch Kachelmanns Nazi-Äußerungen die Persönlichkeitsrechte der Aktivisten betroffen sind oder nicht, muss das Gericht an einem zweiten Termin am kommenden Mittwoch klären.
Die vertagte Entscheidung feierten die Verschwörer als „Etappensieg“. Kein Wunder, schließlich ist jeder weitere Gerichtstermin auch eine Möglichkeit, ihre Theorien ungefiltert unters Volk zu bringen. So kündigten sie an, auch am zweiten Prozesstag wieder zahlreich vor Ort zu sein und mit einer „Aktion“ vor dem Gerichtssaal über ihr Anliegen zu informieren.
Kachelmanns Anwaltskanzlei Höcker geht zuversichtlich in die nächste Runde. Medienrechtsanwalt Ralf Höcker sagte gegenüber DerWesten: Man dürfe „davon ausgehen, dass das Gericht die Verfügung gegen Herrn Kachelmann wieder aufheben wird und sich die Bürgerinitiative anschließend nicht mehr in Presseerklärungen freuen wird.“