Hildesheim. An Themen wie Müllentsorgung, Grundstücksgrenzen und Parkverstößen entzündete sich ein jahrelanger, nervenraubender Kleinkrieg in einer Gifhorner Laubenkolonie. Am Abend des 22. Septembers führte er zum Tod von drei Kleingärtnern. Seit Mittwoch sitzt der Täter auf der Anklagebank.
Es gab diesen einen Moment, in dem Wilfried R. vorm Schwurgericht Reue zeigte: „Es hat mir endlos leid getan, und ich würde das gern rückgängig machen.“ Nach der Tat habe er versucht, sich das Leben zu nehmen, so der 66-Jährige: „Mit 70 Blut-Hochdruck-Tabletten und einer Flasche Wodka.“
Ansonsten offenbarte Wilfried R., wie sehr er noch immer in seinem Kontroll- und Ordnungsdenken gefangen ist. Anstatt sein Rentnerdasein im Garten zu genießen, ärgerte er sich chronisch über seine Nachbarn. Gestern rechtfertigte er sein energisches Vorgehen. Künftig wird es für den Angeklagten gar keine Gartenfreuden mehr geben.
Die zentrale Frage im Prozess ist, ob Wilfried R. aus der Situation heraus gehandelt hat, also Notwehr oder Totschlag vorliegt. Oder ob der Mann, der extra noch einmal abends in den Garten fuhr und der den zurecht geschnitzten Knüppel in der Hose versteckte, geplant vorging. Das wäre Mord, wovon die Staatsanwaltschaft ausgeht.
„Das war wohl ein Sport: fleißiges Reisig-Hin-und-Her-werfen“
Am spannendsten war am ersten von sieben Prozesstagen aber die ewige Frage, die sich nach jeder Tragödie stellt: Gab es Anzeichen, hätte die Eskalation verhindert werden können? „Viele haben ihm Schlimmes zugetraut, aber dass es so weit kommt…“, sagte Markus K. gegenüber unserer Zeitung nachdenklich. Der 36-Jährige tritt zusammen mit seinem Bruder als Nebenkläger auf. Die beiden Hinterbliebenen verloren einen Bruder und ihre Eltern durch die Tat.
Ob die Kleingarten-Morde hätten verhindert werden können, bleibt offen. Aber Vorboten gab es wie Sand am Meer, seit 2002 zog sich der Himmel über der Laubenkolonie in der Südheide bedrohlich schwarz zu:
Geradezu prophetisch wirken heute die Worte, die der getötete 33-Jährige bei einer eidesstattlichen Erklärung gegenüber der Polizei circa zwei Jahre vor der Tat abgab: „Ich halte Wilfried R. für gefährlich und befürchte gewaltsame Übergriffe auf mich. Ich wünsche eine gerichtliche Entscheidung, um eine Eskalation zu vermeiden.“ Abgegeben hatte das spätere Opfer die Erklärung, nachdem er wüst beschimpft worden war. Wilfried R. bezichtigte ihn, Muttererde gestohlen zu haben.
In Flammen gingen Hütten auf, als die Kleingärtner sich über Jahre nicht auf die zulässige Größe der Gebäude einigen konnten. Wilfried R. hatte von den späteren Opfern einen Rückbau von 36 auf 24 Quadratmeter gefordert – zu Unrecht, wie Richter Ulrich Pohl gestern feststellte. Auch die 30 bis 60 Kaninchen des Nachbarn störten den 66-Jährigen: „Das war Schwarzhandel.“ 2005 brannten dann drei Hütten ab. Wilfried R. konnte keine Schuld nachgewiesen werden. Richter Pohl gestern: „Mit dem Feuer war ja auch das Kaninchen-Problem erledigt.“ Später brannte auch eine Hütte von Wilfried R. nieder.
Die Grenzstreitigkeiten eskalierten schließlich. Wilfried R. hatte in der Mitte des Weges zwischen zwei Gartenzeilen sein Revier mit Reisig-Zweigen abgegrenzt. Diese Zweige wurden von anderen Gärtnern immer wieder in den Garten des 66-Jährigen geschmissen – und er schmiss sie wieder in die Gärten seiner Nachbarn. Es war ein Konfrontation, wie man sie aus Kindergärten kennt. Wilfried R. drohte seinem Nachbarn sogar, als dieser den Weg mähte: „Das will ich selbst machen.“
Handgreiflichkeiten gab es schon vor der Bluttat. Wilfried R. sagt zwar: „Ich fasse keinen an, Herr Richter!“ Sowohl er als auch seine Nachbarn gingen laut älteren Anzeigen aber keineswegs zimperlich vor. Offenbar spielten einige der Kleingärtner das kleinkarierte Spiel mit, doch es war allein Wilfried R., der schließlich jegliche Bodenhaftung verlor.
In hölzerner Sprechweise und mit großen Erinnerungslücken verstrickte er sich gestern in Widersprüche zu seinen Aussagen bei den Vernehmungen. Vielleicht wird der 8. April mehr Klarheit bringen – dann werden die Nachbarn und Verwandten des Täters befragt. Die Ironie dieser Geschichte: Der 66-Jährige war es, der unaufhörlich auf Vorschriften und Gesetze pochte – nun muss er sich für einen der schwersten Gesetzesbrüche verantworten. Bisher tut er das noch erhobenen Hauptes.
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