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Missbrauchsopfer will ARD-Film zur Odenwaldschule verhindern

Missbrauchsopfer will ARD-Film zur Odenwaldschule verhindern

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Foto: dpa
Andreas Huckele fühlt sich ausgebeutet. Der ehemalige Odenwald-Schüler versucht, die Ausstrahlung des ARD-Films „Die Auserwählten“ zu verhindern. Die Auserwählten ist quasi der Film zum Skandal. Sein Vorwurf: Die Macher hätten ohne Erlaubnis seine Lebensgeschichte verfilmt.

Essen. 

Er ist der Mann, der den Missbrauchs-Skandal an der Odenwald-Schule aufdeckte. Jahrelang war er von Gerold Becker, dem Leiter der Schule, sexuell missbraucht worden. Und bis heute gibt es Nächte, in denen er aufwacht, panisch, in denen er meint, ihn zu fühlen, ihn zu riechen. Diese Mischung aus Mariacron und Samson. Jetzt sieht sich Andreas Huckele ein weiteres Mal missbraucht: Von den Machern des ARD-Films „Die Auserwählten“. Huckele: „Sie fallen wie Raubritter über mein Leben her!“

Es ist frappierend, diese beiden Fotos neben einander zu sehen, Andreas Huckele als Teenie in den 80er-Jahren und Frank Hoffmann, den Jungen aus dem Film. Blondes schulterlanges Haar, hübsche, sehr weiche Jungen-Gesichter. Als ob man den einen nach dem Foto des anderen gecastet hätte. So ähnlich sehen sich die beiden. Und genau das ist es, was Andreas Huckele in diesen Tagen vor der Ausstrahlung des Films so wütend macht. Man hat sich seiner bedient, seiner Lebensgeschichte. „Die ARD zeigt meine Geschichte ohne mein Einverständnis!“

Medienanwalt soll Ausstrahlung verhindern

Hückele, aber auch sein Zimmernachbar aus der Odenwald-Schule, Till Boße, haben den prominenten Berliner Medienrechtler Christian Schertz eingeschaltet. Schertz bemüht sich noch in diesen Stunden die für den Mittwochabend geplante Ausstrahlung zu verhindern. Sie verletze „die Persönlichkeitsrechte von Andreas Huckele massiv“.

Die Parallelen zu dem Lebensschicksal von Huckele, die optische Übereinstimmung. „Die Ausbeutung eines Missbrauchsopfers ohne seine Zustimmung ist auch aus ethischen Gesichtspunkten in hohem Maße zu verurteilen und nach meiner Meinung für einen öffentlich rechtlichen Sender nicht zu verantworten“, erklärt Christian Schertz.

Huckele war kein Promi-Kind

Der heute 45-jährige Huckele war zwölf, als er auf die Odenwaldschule kam, in die „Familie“, die Wohngemeinschaft, des damals hoch geschätzten Reformpädagogen Gerold Becker. Es begann eine Zeit, die sein Leben bis heute prägen, belasten sollte. „Ich war dreizehn, als es anfing, sechzehn, als es endete, weil ich endlich alt und kräftig genug war, um Becker anzuschreien und mit aller Kraft zurückzustoßen.“

Huckele war kein Promi-Kind, wie es so viele an der Odenwald-Schule gab und gibt. Kein Porsche. Kein Beuys. Kein von Weizsäcker. Er stammte aus einer schwierigen, zerbrochenen Familie. Es war 13, als der Schulleiter sich erstmals an ihm verging. Unter der Dusche, die sie, Lehrer wie Schüler, in ihrer „Familie“ gemeinsam benutzten. Was mit fürsorglichem Shampoonieren der Haare beginnt, endet in sexuellem Missbrauch.

Schulleiter setzte sich jeden Morgen neben das Bett

Fortan setzte sich der Schulleiter allmorgendlich an Huckeles Bett, ritualisierte den Missbrauch. Andreas Huckele ist nur eines von 132 Opfern an der Odenwald-Schule. Die Täter waren die eigenen Lehrer. 1999 macht Huckele all das publik, 2011 schreibt er unter dem Pseudonym Jürgen Dehmers ein Buch.

Und nun wehrt er sich massiv gegen einen Film, in dem „der nicht fiktionale Teil nahezu identisch mit meiner Lebensgeschichte ist“, so Huckele: „Alle drei brutalen Übergriffe, die im Film gezeigt werden, sind meinem Buch entnommen. Doch der Film zeigt die Odenwald-Schule nicht wie sie war. Die Realität war krasser, viel hoffnungsloser. Sie war der Horror!“

WDR will den Film auf jeden Fall zeigen

Ähnlich liegt der Fall bei Till Boße. Der war Huckeles Zimmer-Nachbar in der Odenwald-Schule. „Er war ein Punk mit weißblond gefärbten Haaren. Der einzige von uns, der so aussah“, sagt Huckele. Genauso wie der zweite Junge in dem ARD-Film. Und wie bei Boße hängt auch über dessen Bett im Film eine große England-Flagge. Huckele: „Boße ist stinksauer, weil er sofort zu erkennen ist. Allerdings ist er im wahren Leben nicht missbraucht worden, anders als im Film.“

Der WDR erklärte nun, die Vorwürfe der ehemaligen Schüler seien nicht zutreffend. Man werde den Film senden. Und Andreas Huckele wird bis zuletzt hoffen, dass genau das nicht passiert.