Ein neunjähriges Mädchen, das über Jahre von der Mutter schwer misshandelt wurde, verklagt das Jugendamt Güstrow auf Schadenersatz. Das Amt habe trotz Hinweisen nicht reagiert und so das Leiden des Mädchens verlängert.
Rostock.
Ein von der Mutter schwer misshandeltes Mädchen will das Jugendamt Güstrow mit einer Klage zur Zahlung von mindestens 25.000 Euro Schmerzensgeld zwingen. Eine Mitarbeiterin des Amtes hatte Hinweise der Ärztin des Mädchens nicht weitergegeben.
Am Donnerstag hat das Verfahren vor der Zivilkammer des Landgerichts Rostock begonnen. Der Anwalt der heute Neunjährigen begründet die Forderung damit, dass eine Jugendamtsmitarbeiterin einen ärztlichen Hinweis auf die Körperverletzung nicht weitergegeben hatte. Durch einen einfachen Hausbesuch, so sein Argument, wären dem Kind mehrere Jahre Misshandlungen erspart geblieben. Der Landkreis Güstrow lehnt die Zahlung jedoch ab.
30 Mal wegen Verätzungen beim Notarzt
Die Mutter hatte ihrer Tochter bis zum fünften Lebensjahr immer wieder ätzende Flüssigkeiten verabreicht, die bleibende Verletzungen an Speiseröhre, Mund und Magen verursachten. Außerdem verbrühte die Mutter ihr Kind mit kochend heißem Wasser, um für den angeblichen Unfall Geld von der Versicherung zu kassieren. Fast 30 Mal wurde das Mädchen von Notärzten und in Krankenhäusern behandelt, bevor die Misshandlung aufgedeckt wurde. Die Mutter gab Überforderung mit dem Kind als Motiv an.
Die Vertreter der Kreisverwaltung bezweifeln einen Zusammenhang zwischen dem „Augenblicksversagen“ der Mitarbeiterin, die 2003 einen Zettel an die Sozialarbeiterin nicht weitergegeben hatte und sich auch nicht mehr über diesen Fall informierte, und den bis 2006 dauernden Misshandlungen. Außerdem bestünden Schadensersatzforderungen gegenüber den behandelnden Ärzten und der Mutter. Die zu neun Jahren Haft und auch zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilte Mutter jedoch ist mittellos. Die Ärzte wiederum sind nicht zu Auskünften gegenüber dem Staat verpflichtet, außerdem hatten sie das Mädchen behandelt, also Hilfeleistung nicht verwehrt.
Gericht sieht Landkreis in der Pflicht
Das Gericht sieht durchaus einen Zusammenhang zwischen der Nachlässigkeit der Jugendamtsmitarbeiterin und dem langen Leiden des Mädchens. Eine geschulte Mitarbeiterin hätte bei einem Besuch der Familie die Überforderung der Mutter erkannt, sagte der Richter am Donnerstag. In erster Linie wäre zwar die misshandelnde Mutter zu Schmerzensgeld verpflichtet, auf lange Sicht sei da aber nichts zu holen. Man könne das Mädchen nicht darauf vertrösten, 20 Jahre auf das Geld zu warten, sagte der Richter. In solch einem Fall müsse der Staat in Haftung genommen werden.
Dem Gericht scheine zudem die geforderte Summe nicht für überzogen. Bleibende und auch sich erst in Zukunft zeigende Schäden bei dem Mädchen seien auch ohne Gutachten vorstellbar, sagte der Richter.
Urteil im April
Die Vertreter des Kindes bestehen auf dem Schmerzensgeld, da einige Leistungen wie psychologische Betreuung schon jetzt nicht mehr durch die Krankenkasse gezahlt würden. Außerdem benötige die Neunjährige, die seit mehreren Jahren in einer Pflegefamilie lebt, Nachhilfe in der Schule und Erholungsurlaub. Eine angebotene Einigung lehnte der Landkreis jedoch ab. Das Urteil soll am 29. April verkündet werden. (dapd)