Mit zwölf Jahren hat er das Abi gemacht. Mit 16 Jahren hat er einen Hochschul-Abschluss in der Tasche. Andrew Almazán ist ein junger Mexikaner – ein Hochbegabter. Aus dem Leben eines geistigen Überfliegers, der jetzt noch Arzt werden will.
Mexiko-Stadt.
Es ist von Vorteil, die Schnellschrift Steno zu beherrschen, wenn man Andrew Almazán besucht. Der junge Mann wirbelt die Worte nur so heraus, beantwortet kurze Fragen umfassend mit kleinen Vorträgen. Dabei sitzt er in weißem Kittel und schwarzer Krawatte hinter einem aufgeräumten Schreibtisch und hat die Hände über dem MacBook gefaltet. Neben ihm steht ein Legomodell der Raumfähre Discovery: „Mich hat die Raumfahrt immer begeistert“, sagt Almazán.
Die Aussage ist an sich nichts besonderes, würde den freundlichen Teenager von 16 Jahren nicht genauso die Medizin, die Psychologie, die Astronomie, die Philosophie und die klassische Musik begeistern. Die Werke von Shakespeare – Tragödien und Komödien – hatte er mit sechs Jahren schon hinter sich gebracht. Auch Victor Hugo und den dänischen Philosophen Kierkegaard. Besonders gern hört er das IV. Brandenburgische Konzert von Johann Sebastian Bach.
Andrew sagt das so, weil es ganz normal ist in seiner Welt, im Universum der Überflieger, dem Kosmos der hohen IQs. Es ist die Welt, in der sich schon Kinder mit Wissenschaftlern messen, Theorien verschlingen und eigene entwickeln. Almazán nennt man in der anderen Welt einen „Nerd“, weil er nicht gerne auf Partys geht oder Mädels nachschaut. „Hochbegabt ist wie rotes Haar haben“, sagt das Talent. Aber eben nur viel seltener. Andrews IQ lag mit 14 Jahren schon bei 162, was als außergewöhnlich gilt. „Bis 18 steigert sich der IQ noch weiter“, weiß das Wunderkind. Deswegen geht er lieber früh zu Bett als auf die Piste, damit sich seine kognitiven Fähigkeiten weiter ausbilden. So eine Art Schlauheitsschlaf.
Keine verhaltensgestörte Zappler
Andrew Almazán ist in diesen Tagen noch beschäftigter als sonst. Er hat gerade seinen Abschluss in Psychologie an der „Universität del Valle“ in Mexiko-Stadt gemacht. Nebenbei studiert er an einer anderen Uni im siebten Semester Medizin und unterstützt an einer dritten Hochschule ein Forschungsvorhaben zum Kampf gegen Diabetes. Zusätzlich assistiert er noch als Berater im „Zentrum für hochtalentierte Kinder“ (CEDAT), das seine Eltern vor einem Jahr gegründet haben.
Hier sollen die Schauberger, diese drei Prozent der Gesellschaft, die außergewöhnliche kognitive Begabungen haben, gefördert und gefordert und vor allem erst einmal entdeckt werden, „Statistisch gibt es alleine in Mexiko-Stadt 100.000 Hochbegabte“, referiert Almazán. „Aber nur jeder Zwanzigste wird überhaupt entdeckt, und hier in Mexiko gibt es keine Einrichtungen für uns“. Die Linie zwischen Hochbegabung und dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ADS sei sehr dünn, sagt er. Viele Kinder gingen als verhaltensgestörte Zappler durch, und ihr Talent verkümmere. „Bei den Hochbegabten ist das Umfeld, in dem das Kind aufwächst viel wichtiger als die genetische Veranlagung“, betont Andrew.
Er hatte Glück. Seine Familie erkannte sein herausragendes Talent früh. Der Vater ist Chirurg, die Mutter Lehrerin, der Großvater, Héctor Anaya, war ein bekannter Schriftsteller in Mexiko. Letztlich war es auch der Opa, der den entscheidenden Impuls gab. Da war Andrew gerade zwei Jahre alt. „Er wollte unbedingt einen Globus haben, den wir in einem Geschäft sahen“, erzählt Vater Asdrubal Almazán. „Wir sagten ihm, es sei kein Ball und kauften den Globus nicht“. Kurz danach beschwerte sich der Knirps beim Opa, und der lief los und kaufte die Erdkugel. In wenigen Wochen kannte Andrew alle Hauptstädte der Welt auswendig. Der Globus steht heute noch in seinem Büro im CEDAT, mittlerweile etwas im Abseits neben all den eingerahmten Diplomen, Auszeichnungen, Preisen und den Fotos: Andrew mit Präsident Felipe Calderón, Andrew mit Bürgermeister Marcelo Ebrard.
„Lernen ist das höchste Glück“
Hochbegabte Kinder seien eine große Herausforderung, sagt der Vater. „Sie hören nie auf zu fragen, sind fordernd. Aber wenn man ihr Talent erkennt und fördert, sind sie rasch hervorragende Autodidakten.“ So war es auch bei Sohn Andrew. Er konnte mit vier Jahren schon schreiben und in der Vorschule nervte er Mitschüler und die Lehrerin während der Buchstaben-Übungen mit Fragen wie diesen: „Wie weit ist die Sonne von der Erde entfernt?“. Mit neun hatten Schule und Eltern ein Einsehen, der Junge wurde im Zeitraffer extern beschult und erlangte mit 12 Jahren die Hochschulreife.
Andrews Tagesablauf gleicht schon in jungen Jahren dem eines schwer beschäftigen Managers: Aufstehen um 5.30 Uhr, dann ins Krankenhaus, die klinischen Semester, mittags Theorie in der Uni und dann nachmittags mit den Ärzten den Kampf gegen die Diabetes vorantreiben oder im CEDAT mit seinen Eltern die 300 Kinder betreuen, die derzeit im Talentschuppen gefördert werden. Abends dann Eishockey oder Taekwondo. „Körperliche und geistige Anstrengungen müssen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen“, sagt der 16-Jährige und klingt dabei schrecklich erwachsen. Um 22 Uhr spätestens geht dann das Licht aus, von wegen Schlauheitsschlaf.
Viel Platz bleibt in so einem Leben nicht für Freizeit und Spaß. Aber für Andrew ist irgendwie sein ganzes Leben eine einzige Freude. „Lernen ist das höchste Glück“, sagt er, und dann lacht er, als hätte er einen guten Witz gerissen. Wenn er mit Freunden zusammen ist, dann sind es auch andere Superhirne, sie probieren dann Spiele aus, die sie auf den Seiten für Hochintelligente finden oder diskutieren gerade ihre Forschungsvorhaben. „Wir unterstützen uns gegenseitig“.
Nach einer Stunde Interview ist der Reporter erschöpft, und Andrew bittet höflich um Entschuldigung für das kurze Gespräch. Er müsse jetzt flugs in die Klinik. Er sei schließlich gerade in der Chirurgie-Rotation. Zur OP dürfe er nicht zu spät kommen.