Neuer Geburts-Trend? Das sagt eine Expertin zu Alleingeburten im Meer oder Wald
Manche Frauen bringen ihre Babys im Meer oder ganz alleine zur Welt
Sind Geburten in Kliniken nicht mehr gefragt?
Was eine Hebamme zu dem Phänomen sagt
Berlin.
Die Zahl der Geburten ist in Deutschland in den vergangenen Jahren weiter kräftig gestiegen. Das macht sich vor allem im Westen und in den Stadtstaaten bemerkbar. Mit den steigenden Geburtenzahlen, nimmt auch die Nachfrage nach Plätzen für die Entbindung in Kliniken zu. Manche Frauen entscheiden sich aber auch für eine Alleingeburt in der freien Natur – vor allem im Meer.
Mit dem Mangel an Hebammen oder fehlenden Klinikplätzen hat das aber wohl wenig zu tun. Handelt es sich vielleicht um einen neuen Trend? Immerhin waren Wassergeburten – dann allerdings in Kliniken – schon früher stark nachgefragt. Wir sprachen mit Susanne Steppat, Präsidiumsmitglied des Deutschen Hebammenverbands (DHV) und Beirätin für den Angestelltenbereich über Trends im Bereich der Geburt und mögliche Gefahren.
Es gab eine Zeit, da haben viele Kliniken ihre Kreißsäle modernisiert, weil Wassergeburten stark nachgefragt wurden. Dieser Trend soll mittlerweile etwas nachgelassen haben. Woran könnte das liegen?
Susanne Steppat:
Für Wassergeburten benötigt man ausreichend Personal. Denn wenn eine Frau ihr Kind im Wasser bekommt und tatsächlich auch in der letzten Phase der Geburt ist, dann muss die ganze Zeit eine Hebamme bei ihr sein. Das ist Standard. Falls sie nämlich Kreislaufprobleme bekommt und unter Wasser gerät, kann sie ersticken. Dass Geburten in einer Wanne oft nicht nachgefragt werden, liegt aber wohl eher daran, dass nicht genügend Personal vorhanden ist, um die Frauen die ganze Zeit zu betreuen. Wenn die Gebärenden im Bett liegen und ein CTG (Wehenschreiber, d. Red.) angeschlossen ist, kann die betreuende Hebamme auch mal auf den Monitor schauen und muss nicht immer persönlich anwesend sein.
Einige folgen bei dem Wunsch nach einer Wassergeburt auch einer Modeerscheinung. Ich habe erlebt, dass die Frauen oft denken, dass eine Geburt im Wasser ganz toll ist. Für viele ist das auch so. Aber die allermeisten Frauen veratmen ihre Wehen im Wasser oder gehen zur Entspannung hinein und merken dann, dass es ihnen unheimlich vorkommt, wenn das Baby tatsächlich kommen soll. Dann verlassen sie die Wanne von sich aus.
Manche Frauen bekommen ihre Kinder sogar im Meer – ist das eine gute Idee?
Steppat:
Ich kenne solche Filme und ich kenne diesen Mini-Trend zur Geburt in der freien Natur. So richtig draußen und im kalten Meer das Kind zu gebären, kann ich nicht wirklich nachvollziehen. Ich glaube, Babys finden es ganz gut, wenn sie in körperwarmes Wasser geboren werden. Denn was soll der Vorteil für das Kind sein, ob es in die kalte Luft oder in das kalte Wasser geboren wird? Das ist ja kein Komfort-Vorteil. Es gibt auch Geburten im Wald, aber das ist meiner Meinung nach sehr exotisch.
Spricht etwas gegen Alleingeburten?
Steppat:
Alleingeburten finde ich tatsächlich einen schwierigeren Trend. Ich bin der Meinung, dass eine Frau, die ein Kind gebärt, jemanden – idealerweise eine Hebamme – an ihrer Seite haben sollte. Einen Menschen, der Ahnung davon hat. Jemanden, der weiß, wie man die Nabelschnur richtig durchschneidet und wie man einem Kind, das etwas überrascht ist, nun auf der Welt zu sein, einen kleinen „Anstupser“ gibt, sodass es doch Lust hat zu leben. Und es sollte auch jemand wissen, wie man Geburtsverletzungen versorgt, die ja auch auftreten können.
Gibt es heute mehr Hausgeburten?
Steppat:
Das Niveau stagniert auf einem niedrigen Level. Außerklinische Geburten machen etwa drei Prozent aller Geburten aus. Ein kleiner Anteil davon sind Hausgeburten, der Rest findet in Geburtshäusern statt. Es gibt sehr überzeugte Hausgeburts-Frauen, die sagen, hier wurde das Kind gezeugt, hier will ich es auch aus eigener Kraft zur Welt bringen. Andere gehen ins Geburtshaus, weil es dort viel Equipment gibt, zum Beispiel eine große Wanne, und weil einige Frauen dort auch das Gefühl haben, während der Geburt mehr aus sich herausgehen zu können als in einem Krankenhaus. Aber der größte Teil geht immer noch in eine Klinik, weil es der Ort ist, von dem sie sich Sicherheit versprechen.
Was ist die häufigste Geburtsposition?
Steppat:
Das hängt von sehr vielen Faktoren ab: Ein Aspekt ist, welche Geburtsbilder die Frau selbst im Kopf hat. Wenn man zum Beispiel Fernsehen schaut oder amerikanische Filme, sieht man die Frauen meist auf dem Bett liegend, manchmal sogar mit den Beinen in einem Beinhalter, selten auf der Seite liegend. Das finde ich nicht sehr realistisch.
Wenn die Frauen die Lust und die Kraft haben, in einer bestimmten Position ihr Kind zu gebären, dann können sie das tun. Das geht im Stehen, im Hocken, im Vierfüßlerstand, auf der Seite liegend – nur nicht im Handstand. Das geht auch mit den Beinen in Beinhaltern, aber die meisten Frauen merken, dass sie Bodenkontakt mit den Füßen brauchen, um richtig drücken zu können. Natürlich kann auch die Hebamme die Geburtsposition beeinflussen. Den Frauen wird auch mal dazu geraten, eine andere Geburtsposition einzunehmen, wenn die Geburt nicht richtig weitergeht. Eigentlich sollten die Frauen es aber gemütlich haben und es soll effektiv sein.
Auch das Thema Wunschkaiserschnitte kommt immer wieder auf. Nimmt dieses Phänomen zu? Und wenn ja, warum?
Steppat:
In Deutschland darf man eigentlich keinen Eingriff ohne medizinische Indikation vornehmen. Die Indikation „Wunschkaiserschnitt“ gibt es deshalb gar nicht. Für alle Kaiserschnitte braucht man eine Begründung, damit die Krankenkasse sie auch bezahlt. Das kann zum Beispiel Angst vor der Geburt sein – was vermutlich am häufigsten vorkommt. Es gibt auch medizinische Indikationen, wenn das Kind beispielsweise in Beckenendlage liegt oder die Frau schon einen Kaiserschnitt hatte.
Beim geplanten Kaiserschnitt gibt es aber Trends in beide Richtungen: Es gibt Klinikchefs, die es ablehnen, erst recht, wenn die Frau noch keine Wehen hat. Und es gibt Kliniken, die haben eine sehr hohe Rate an geplanten Kaiserschnitten. Aber die Zahl an tatsächlichen Wunschkaiserschnitten kann man kaum nachvollziehen, weil es immer eine Indikation gibt – wie auch immer die lautet.
Was ist dran am Mythos, dass Kaiserschnitte den Kliniken mehr Geld einbringen?
Steppat:
Mit Kaiserschnitten wird nicht viel mehr Geld verdient, das ist ein Trugschluss. Die OP-Zeit kostet sehr viel Geld, bei einem Kaiserschnitt sind viel mehr Leute anwesend – von den Gynäkologen und Assistenzärzten, über die OP-Schwester, den Anästhesisten, anderes Pflegepersonal und natürlich auch eine Hebamme. Es bleibt ein bisschen mehr Geld übrig beim Kaiserschnitt, aber nicht so viel, dass es ein lohnendes Geschäft wäre. Es lohnt sich vielleicht für Kliniken, die nur Kaiserschnitte machen und morgens um 8 Uhr anfangen und abends um 18 Uhr wieder aufhören und in der Zeit 30 Kinder auf die Welt gebracht haben.
Ein Kaiserschnitt ist außerdem nicht, nur weil es schneller geht, der sicherere Weg. Es kann zu Embolien kommen, falsche Blutgefäße können verletzt werden und die Kinder können an Anpassungsstörungen leiden. Ich bin auch Biologin und muss sagen: Die natürliche Geburt ist ein auf Erfolg ausgerichtetes Konzept – sonst wären wir aus evolutionsbiologischer Sicht bestimmt längst ausgestorben. Es ist gut, dass es Kaiserschnitte gibt, aber sie sollten nicht zur Normalität werden.