Ölpest in Kalifornien – Experten befürchten schlimme Folgen
Vor der Küste Kaliforniens schwimmt nach einem Pipeline-Bruch ein 23 Quadratkilometer großer Ölteppich im Meer. Malerische Strände sind betroffen und werden geschlossen. Umweltschützer sprechen von einer ernsten Bedrohung für die Tierwelt.
Washington.
Die direkt am Wasser gelegenen Camping-Plätze zwischen Refugio und El Capitan State Beach gehören zu den schönsten, die Kalifornien zu bieten hat. Übers lange Wochenende sind die mit Grill-Nischen, warmen Duschen und Strom-Anschluss ausgestatteten Open-Air-Hotels vor allem bei Familien mit Kindern begehrt, die in Santa Barbara oder im 200 Kilometer südlich gelegenen Moloch Los Angeles leben und denen nach Natur ist. An diesem „Memorial Day“-Wochenende – das in den USA als Beginn der Sommersaison gilt – können Hunderte ihre Buchungen jedoch in den Wind schießen. Die Strände sind gesperrt. Öl-Katastrophe.
Durch eine seit 1987 unterirdisch in Strandnähe liegende Pipeline von 60 Zentimetern Durchmesser sind rund 400.000 Liter Öl ausgelaufen, 100.000 davon direkt ins Meer. Vor der Küste des hinreißenden Landstriches 200 Kilometer nördlich von Los Angeles hat sich ein über 20 Quadratkilometer großer Öl-Teppich gebildet.
Mit jeder Welle werden dicke, schwarze Klumpen angespült, dazwischen vereinzelt bis zur Unkenntlichkeit verklebte Pelikane, Hummer, Seelöwen und Fisch-Kadaver.
Hunderte Freiwillige schaufeln den gröbsten Öl-Dreck weg
Seit drei Tagen schaufeln Hunderte Freiwillige in Schutzanzügen und Gummistiefeln den gröbsten Öl-Dreck weg. Das von der texanischen Firma „Plains All American Pipeline“ zu verantwortende Unglück ist in der Region das schwerste seit 1969. Damals flossen vor Refugio und El Capitan zwölf Millionen Liter Öl ins Meer. Tausende Meerestiere und Vögel verendeten. Es dauerte Jahre, bis die Öko-Bilanz wieder ins Gleichgewicht geriet.
Wie lange es diesmal dauern wird, ist noch nicht ausgemacht. Die Umweltbehörde EPA ist noch bei der Schadensaufnahme. Die Ursache für den Bruch der Pipeline, die erst vor wenigen Wochen turnusmäßig geprüft worden sein soll, ist noch nicht zweifelsfrei festgestellt worden. Unterdessen sind 18 Spezialschiffe auf dem Wasser, die den Öl-Teppich rund um die Uhr absaugen. „Bis es hier wieder so ist wie vorher werden Monate vergehen“, sagt Santa Barbaras Bürgermeisterin Helene Schneider, „es ist eine Schande.“
Umweltschützer des in Kalifornien einflussreichen Sierra Clubs bekräftigten gestern ihre Generalkritik an dem am „Unglücksort seit langem bekannten Spannungsverhältnis“. Auf der einen Seite sind Teile der Küste vor Santa Barbara nationales Unterwasser-Schutzgebiet. Dort haben neben Walen, Delfinen und Seelöwen auch 500 Fisch- und 60 Vogel-Arten ihr Refugium. Auf der anderen Seite werden auf über zwei Dutzend Ölbohrinseln, die man bei klarem Himmel mit dem Fernrohr von der Küstenstraße aus sehen kann, täglich viele Millionen Liter Öl gefördert. „Get Oil Out“, eine Naturschutz-Organisation, erkennt darin seit langem ein „unverantwortliches Vabanque-Spiel“ und fordert einen Stopp der Produktion. Mindestens aber technische Auflagen wie automatische Abschalt-Ventile, die im Fall einer Funktionsstörung größere Schäden verhindern.
Pipeline-Chef konnte Einheimischenicht besänftigen
Die betroffene „Las Flores-to-Gaviota“-Pipeline verfügt über keine dieser Vorrichtungen. Und ausgerechnet Greg Armstrong hat die Skepsis noch gesteigert. Der kantige Boss des Pipeline-Betreibers aus Houston war umgehend nach Kalifornien geflogen, hatte vor laufender Fernsehkamera die branchenüblichen Demutsgesten abgeliefert („das tut uns sehr leid, wir werden es wieder gutmachen“) und seinem Haus generell enorme Aufwendungen für die Sicherheit attestiert. Den Zorn der Einheimischen besänftigen konnte er damit nicht.
Aufgebracht reagierten gestern viele Anwohner, als die „Los Angeles Times“ ihre Recherchen in amtlichen Archiven veröffentlichte. Danach gehört „Plains“, 18.000 Meilen Pipeline im Besitz, 43 Milliarden Dollar Umsatz im vergangenen Jahr und knapp 900 Millionen Dollar Gewinn, zu den schwarzen Schafen der Branche.
Unter den 1700 in einem Bundes-Register geführten Pipeline-Betreibern in den USA hatten nur vier mehr Pannen, geborstene Rohre und andere Unregelmäßigkeiten in der Statistik.
Und bei Plains schlagen seit 2006 immerhin 175 Vorkommnisse zu Buche – mit fast 2,6 Millionen Liter Öl-Verlusten und 23 Millionen Dollar Schaden. In mindestens einem Fall wurde das Unternehmen zu einem Bußgeld von drei Millionen Dollar verurteilt. Der Grund: die geplatzte Pipeline war schlicht durchgerostet.