Es ist das wohl größte Desaster in der 33-jährigen Geschichte des Wacken Open Air. Die diesjährige Ausgabe versank bereits im Chaos, ehe das riesige Metal-Festival in Schleswig-Holstein überhaupt begann.
Heftige Regenfälle, gigantische Schlamm-Massen und ein unfassbares Stau-Chaos brachten die angereisten Metal-Fans schon seit Montag an den Rand der Verzweiflung. Eine Meldung aus den frühen Morgenstunden des heutigen Mittwoch (2. August) beförderte viele Besucher dann über jenen Rand hinaus.
Wacken Open Air: Einlass-Stopp lässt Besucher verzweifeln
Die Veranstalter verhängten einen Einlass-Stopp. Aus Sicherheitsgründen könne man niemanden mehr aufs Gelände lassen, der sich bis dahin nicht bereits eines der Festival-Bändchen sicherte. Für tausende Metal-Heads brach eine Welt zusammen. Einer von ihnen ist Julien. Der Franzose reiste mit seinen Freunden aus dem Norden Frankreichs an und kann nicht fassen, was passiert ist.
„Wir brauchten allein 13 Stunden, um hierher zu kommen“, sagt Julien im Gespräch mit DER WESTEN: „Am späten Montagabend kamen wir am langen Wacken-Stau an. Wir standen 30 Stunden im Stau und waren schon völlig am Ende. Aber wir hatten gedacht, dass das Warten sich schon lohnen würde. Doch dann kam der Schock.“
Hier alle Infos: Wacken 2023 – Veranstalter verkündet endgültigen Einlass-Stopp!
Wacken-Fans nahmen Mega-Anfahrt auf sich – und sind jetzt am Ende
Für Julien und seine Freunde platzte an diesem Mittwochmorgen ein Traum. Von 2008 bis 2019 waren sie jedes Jahr beim Wacken Open Air. Dann fiel das Festival wegen der Corona-Pandemie aus, und im vergangenen Jahr konnten sie eine gemeinsame Reise leider nicht einrichten. „In diesem Jahr hatten wir uns so sehr gefreut, dass wir endlich noch mal alle gemeinsam hierher kommen können“, sagt Julien: „Jetzt ist unsere Stimmung an einem absoluten Tiefpunkt.“
Was ihn so frustriert: „Die Veranstalter hätten uns besser auf dem Laufenden halten können. Montagabend hatte sich zum Beispiel sechs Stunden lang nichts im Stau getan. Und niemand wusste, was los war. Da fühlten wir uns sehr im Stich gelassen.“
Wacken-Veranstalter in der Kritik
Julien meint zudem: „Die Veranstalter hätten etwas präziser sein können. An einer Stelle hieß es, dass nur noch diejenigen aufs Gelände gelassen werden, die sich in unmittelbarer Nähe befinden. Aber niemand wusste, was ‚unmittelbare Nähe‘ genau bedeuten würde. Die Veranstalter hätten von Beginn an offener kommunizieren sollen, wie ernst die Lage ist. Ihnen hätte doch schon sehr früh am Montag klar sein müssen, wie schlimm es ist. Sowas hätte man früher kommunizieren können.“
Julien und seine Clique sind nun völlig am Ende – mental und auch körperlich. „Wir sind mit zwei Autos gekommen und waren vollgepackt mit allen möglichen Sachen. Die beiden Nächte, die wir in unseren Autos verbringen mussten, waren extrem brutal. Wir konnten doch nicht damit rechnen, dass wir in Wacken 30 Stunden in einem Stau stehen würden.“
„Wacken keine Option mehr“
Julien weiter: „Jetzt sind wir komplett im Eimer und müssen noch 800 Kilometer zurückfahren. Das ist in diesem Zustand unmöglich und wäre enorm gefährlich. Daher haben wir uns jetzt spontan in der Nähe ein kleines Airbnb genommen, damit wir zumindest einmal kurz ruhen können.“
Für Julien und seine Freunde steht fest: „Ich glaube nicht, dass Wacken für uns zeitnah noch mal eine Option ist. Wir lieben das Festival zwar und hatten hier schon viel Spaß seit unserem ersten Mal 2008. Aber nach dieser Erfahrung werden wir sowas nicht mehr riskieren.“
Wacken-Fan Aylin: „Fühlen uns ausgegrenzt, traurig und hilflos“
Auch Aylin ist am Boden zerstört. Dienstagmorgen brach sie mit Freunden aus dem Westerwald in Rheinland-Pfalz auf. „Wir haben zu dritt ein Jahr gespart und unseren einzigen Jahresurlaub genommen“, sagt sie im Gespräch mit DER WESTEN: „Wir arbeiten alle drei in der Pflege und dürfen nur ein Dienstwochenende im Jahr Urlaub nehmen – das haben wir uns natürlich für Wacken aufgehoben.“
Dienstagabend kamen sie im Hotel an. „Im Hotel angekommen haben wir dann in Ruhe ausgepackt und ein paar Bier getrunken – in der Vorfreude, am Mittwoch ganz in Ruhe unsere Bändchen abzuholen“, sagt Aylin: „Heute morgen um 5 Uhr wollte ich auf die Uhr gucken und bekam dann die Schreckensnachricht, dass keiner mehr aufs Gelände gelassen wird.“
Besonders ärgerlich: Die drei Freunde hatten vorab einiges an Geld auf ihren Festival-Bändchen eingezahlt. Somit hätten sie in Wacken auf dem Gelände bargeldlos für Verpflegung zahlen können. Das Geld werden sie demnächst zurückerstattet bekommen – aber eben erst demnächst. „Da kommen wir jetzt nicht dran, und deswegen können wir auch nicht mal eben so woanders Urlaub machen.“
Für Aylin und ihre Freunde brachen alle Welten zusammen. „Wir sind jetzt auf dem Heimweg und haben eine dementsprechende Stimmung. Wir alle fühlen uns ausgegrenzt, traurig und hilflos.“
Mehr Themen:
Aus Stuttgart nach Wacken angereist – und bitter enttäuscht
Und auch Dirk hatte eine weite Anreise. Gemeinsam mit seiner Frau fuhr er am Montagmorgen aus einem Vorort von Stuttgart los. Mehr als 700 Kilometer legten die beiden zurück. Elf Stunden dauerte die Fahrt, ehe das Ehepaar abends in der gebuchten Ferienwohnung ankam.
Weil die beiden niemals damit rechneten, dass es einen Einlass-Stopp geben würde, kamen sie am Dienstag der Bitte nach, das Gelände zu meiden. „Heute Morgen war ich dann um halb sechs wach und habe vom Einlass-Stopp gelesen“, sagt Dirk im Gespräch mit DER WESTEN.
Und plötzlich war auch bei ihm die Stimmung im Keller. „Ich hatte mich mega auf das Festival gefreut“, meint Dirk. Nach den Corona-Jahren, in denen das Festival ausfallen musste, hatte es auch im vergangenen Jahr nicht für ihn geklappt.
„Man stellt sich jetzt natürlich einige Fragen“
„Dieses Jahr sollte es endlich wieder so weit sein. Das wäre Wacken Nr. 7 für mich und Nr. 5 für meine Frau geworden“, so Dirk.
„Man stellt sich jetzt natürlich einige Fragen“, sagt er: „Und man ist von der Ungenauigkeit der Veranstalter verwirrt.“
Genau wie Julien hätte auch Dirk sich eine umfassendere und präzisere Kommunikation gewünscht. „Warum ist das FAQ sogar schon von heute Nacht um 1 Uhr, die Benachrichtigung kam aber erst um 5 Uhr?“, fragt er klagend: „Shuttles und Busreisende von Veranstaltern dürfen trotzdem noch rein. Was sind das genau für Shuttles, die trotzdem betrieben werden? Warum dürfen die vom Flugplatz Hungriger Wolf hin, aber Leute aus Ferienwohnungen oder Campingplätzen in der Nähe nicht? Nur weil man sich noch kein Festivalbändchen geholt hat?“
Fragen über Fragen, auf die Dirk und die vielen anderen enttäuschten Metal-Liebhaber keine Antworten bekommen. „Man kann da noch weiter ausholen, bringt leider nur nichts“, muss Dirk enttäuscht feststellen.
„Es wird kein Wacken mehr für uns geben“
Mit seiner Frau will er nun das Beste aus der Situation machen. „Wir haben unsere Unterkunft hier jetzt bis Sonntag gebucht und gezahlt. Wir werden vermutlich Tagesausflüge im Norden unternehmen, da uns die Gegend hier gefällt. Früher abreisen kommt zumindest aktuell nicht infrage.“
Sein eindeutiges Fazit: „Es wird in Zukunft kein Wacken mehr für uns geben.“