Paris.
Der französische Staats-Präsident Nicolas Sarkozy schiebt bis Ende August 700 Roma in ihre Heimatländer ab. Selbst Parteifreunde distanzieren sich. Sarkozys Aktion soll zeigen: Der Präsident räumt auf.
Nur die wenigsten haben schwere Koffer bei sich, die meisten verlassen Lyon mit leichtem Gepäck. Und mit einer schimmernden Träne im Auge. Einer schleppt sich schweigend mit seinem zugeklappten Akkordeon vom Bus zum Terminal, nach lustigen Zigeunerliedern ist jetzt niemandem zumute. Denn heute ist der Tag der Abschiebung. Der gleichzeitig auch der große Tag des Nicolas Sarkozy ist. Seine triumphierende Botschaft an die Nation: Seht her, euer Präsident räumt endlich auf.
Bald drei Wochen ist es her, dass Frankreichs Staatschef in einer zornigen Rede illegalen und kriminellen Zuwanderern den „Krieg“ erklärte. Seitdem durchkämmen Polizisten und Gendarmen das Land und räumen ein illegales Roma-Lager nach dem anderen. Erschütternde Bilder gehen um die Welt, wenn grimmige Polizisten, mit Schlagstöcken bewaffnet, in armselige Wellblechhütten eindringen und schreienden Müttern schreiende Kinder aus den Armen reißen. Viele Franzosen schämen sich abgrundtief, weil nun die schrecklichen Bilder von den Judenrazzien der Vichy-Polizei wieder hoch kommen. Doch die meisten atmen erleichtert auf – und bescheren dem unbeliebten Präsidenten plötzlich wieder steigende Umfragewerte.
Sarkozys Kriegserklärung
79 Roma schicken sie an diesem Donnerstag von Lyon nach Bukarest, weitere 14 vom Pariser „Charles-de-Gaulle“-Flughafen. An sich nichts Ungewöhnliches, denn Abschieben gehört zum grauen Alltag der Immigranten-Behörde. In diesem Jahr flogen bereits 24 Maschinen mit Roma an Bord nach Rumänien und Bulgarien, allein im letzten Jahr mussten 10.000 illegale Zuwanderer auf diese Weise das Land verlassen. Weil es sich bei diesen Flügen aber um die ersten nach Sarkozys spektakulärer „Kriegserklärung“ handelt, entwickelt sich die Abschiebung zu einem aufwändig inszenierten Medienspektakel, über das TV-Reporter pausenlos in Live-Schaltungen berichten.
Innenminister Brice Hortefeux, seit Jahrzehnten Nicolas Sarkozys treuester politischer Weggefährte und enger Freund, übernimmt in diesem bizarren französischen Sommertheater die Rolle des kompromisslosen Vollstreckers. Täglich verbreitet seine Behörde neue „Erfolgsmeldungen“, und beinahe täglich schreitet Hortefeux, der gelegentlich durch rassistische Sprüche unangenehm auffällt, bewährte Polizeiregimenter ab. Bis Mittwoch habe er schon 51 Roma-Lager räumen lassen, tönt er. An diesem Donnerstagmorgen nun knöpfen sie sich in Saint-Martin-d’Hères (Departement Isère) Lager Nummer 52 vor. Schon früh um sieben rücken Beamte der „Compagnies Républicaines de Sécurité“, der kasernierten Bereitschaftspolizei, an, wieder erteilen sie Platzverweise im großen Stil.
Die Abschiebung à la française erfolgt buchstäblich Schlag auf Schlag: An diesem Freitag fliegen sie abermals Hunderte Roma in ihre Heimat. 700, so Hortefeux’ strenge Zielvorgabe, sollen es bis Ultimo sein. Unterdessen tritt Eric Besson, der Minister für Einwanderung und Nationale Identität, mit demonstrativer Unschuldsmiene dem Eindruck entgegen, Frankreich schiebe wehrlose und verzweifelte Menschen gegen ihren Willen ab. „Alles geschieht freiwillig“, sagt er. Und verweist auf die Geldprämien, die sie den Roma in die Hände drücken: 300 Euro für jeden Erwachsenen, 100 Euro für jedes Kind.
„Sie sind Franzosen und haben Arbeit“
Sarkozys Krieg gegen die Hütten ruft nicht nur Menschenrechtler, linke Intelligenz und besorgte Bischöfe auf den Plan. Selbst Freunden in der Präsidentenpartei UMP stößt seine mit viel Getöse inszenierte Kampagne zur Nationalen Sicherheit bitter auf. „Das ist Sand in die Augen streuen“, empört sich der UMP-Parlamentarier François Goulard. Und fügt hinzu: „Die Sicherheitsprobleme unseres Landes haben mit ein paar Roma-Lagern nichts zu tun.“
Auch Alain Juppé, Bürgermeister von Bordeaux und unter Jacques Chirac Premierminister, distanziert sich offen. Alle Volksgruppen in einen Topf zu werfen, sei ein Unding. In seiner Stadt versperren seit Tagen 140 vertriebene Landfahrerfamilien (“gens du voyage“) mit ihren 250 Wohnwagen die Straßen. Juppé bricht eine Lanze für das Fahrende Volk, zumeist Kaufleute, deren Vorfahren schon seit Jahrhunderten Jahr- und Wochenmärkte im ganzen Land ansteuern. „Sie sind Franzosen und haben Arbeit, wir in Bordeaux ächten sie keinesfalls“, sagt der Bürgermeister, der ausdrücklich den grünen Europaabgeordneten Daniel Cohn-Bendit unterstützt. „Es stimmt, das Roma-Problem kann nur auf europäischer Ebene gelöst werden.“
Ehe die Chartermaschine vom Lyoner Saint-Exupéry-Airport abhebt, fragen Reporter die Passagiere noch, ob man mit ihrer baldigen Rückkehr nach Frankreich rechnen könne. Worauf ihnen unisono ein klares „Nein!“ entgegenschallt.