Schwiegereltern in spe geben sich ziemlich häufig respektlos. Die neue Freundin ihres Sohnes duzen sie munter, während sie selbst mit einem distanzierten „Sie“ angesprochen werden wollen. Schlimmer noch: Sie bieten ein huldvolles „Mama“ an. Ein Plädoyer für mehr Gleichberechtigung.
Respekt ist eine Einbahnstraße. Ihn gibt es nur von Jung in Richtung Alt. Und alt ist man erst, wenn ein Jungspund von 30 im Bus aufsteht und für einen den Platz freimacht. Zuvor muss man einstecken können – und stolz darauf sein, wenn das Alter überhaupt mit einem redet.
Der Schwiegervater in spe ist so einer. Beim ersten Besuch freut er sich unbändig, dass er endlich „die Charlotte“ kennenlernen darf. Von der er schon soviel Gutes gehört hat. Vier Ringe in einem Ohr und ein Top, das nur beweisen soll, dass der Bauch cellulitefrei ist, verleiten ihn zu der Frage: „Und Du bist die neue Freundin unseres Sohnes?“
„Richtig, Egon“, würde man gerne sagen. 28 Jahre alt, im Beruf stehend, damit erwachsen. Auf einer Augenhöhe mit Egon, nur mit weniger Lebenserfahrung. Aber weil der Schwiegervater in spe Krawatte, Hosenträger aus den 60ern und ein ehrwürdiges Brillengestell trägt, nickt man und sagt: „Ja, Herr Sibikowski.“
Der Vorname ist tabu
Der Freund ist leider keine Hilfe. Jahrelang Sohn von Egon, weiß er, dass Edmund Stoiber ein Liberaler ist. Im Gegensatz zu seinem Vati. Und damit gibt es naturgemäß eine ganze Menge Tabus in der Beziehung von Charlotte und ihrem künftigen Schwiegervater. Der Vorname zum Beispiel. Jedenfalls von Charlotte in Richtung Egon. Und das mindestens bis zum ersten Kind.
Beim nächsten Geburtstag sitzt Karl neben Egon. Kumpelgespräch. Karl erzählt von Egons Eskapaden. Selbst Luise aus dem Kirchenchor ruft Egon – und nicht Herrn Sibikowski – zu Hilfe, als ihr Bruno, der Hausköter, den Weg in der Diele versperrt. Und als sich bei Charlotte der Schlüssel in der Klotür nicht mehr dreht und der Freund im Keller Bier holen muss, brüllt sie durchs ganze Haus: „Hilfe, Herr Sibikowski, Hilfe!“
Herr Sibikowski kommt mit Frau Sibikowski. Durch die Tür fragt sie: „Charlotte, Kleines, was ist denn passiert?“ Fängt die auch noch an. Charlotte hat nur ein Ziel, neben der Befreiung aus dem Klo natürlich: Niemals mehr redet sie diese Leute mit Namen an. „Hallo“ oder „Kann ich bitte mal die Kartoffeln haben?“ müssen reichen. Nach 26 Minuten und gefühlten 13 Versuchen, das Schloss der Klotür zu öffnen, ist Charlotte frei. Weil Herr Sibikowski gedacht hatte, dass Charlotte in dem riesigen Badezimmer mit Wanne, Dusche und Toilette vor Panik in Ohnmacht fällt, hat er sie immer wieder versucht zu beruhigen. Durchs Schlüsselloch. Angeregt durch diese für ihn intime Situation, bietet er ihr an: „Herr Sibikowski klingt so förmlich. Das ,Sie’ ist ja okay, aber sag doch einfach ,Egon’.“
Niemals „Mutter“
Charlottes Gesicht nimmt eine ungesunde Farbe an. Frau Sibikowski schiebt nach: „Die Charlotte ist so eine Liebe. Solch eine Schwiegertochter habe ich mir immer gewünscht. Wenn der Hannes mit ihr zusammenbleiben will, darf sie gerne auch ,Mutter’ zu mir sagen.“
Niemals, Adele! Niemals! Das wäre eine Affront gegen Mama! Und ein blödsinniger Deal: Charlotte gegen Mutter. Ob Sie oder Du, das ist in dieser Familie dabei noch keinesfalls geklärt.
Charlotte hat sich entschieden: Ab sofort sagt sie ,Adele“ und „Du“. Und wenn Adele Sibikowski auf dem „Mutter“ besteht, besteht Charlotte Berger auf regelmäßige Frühstücke sowie Wadenwickel und Händchen halten bei Fieber. Dass Adele sie drei Mal die Woche zum Tanzen, zum Yoga und zum Reiten fährt, versteht sich von selbst. Mutterpflichten eben!