Die Berliner Charité hat einen großen Namen. Der jüngste Skandal – ein Pfleger soll sich in der Notaufnahme an einer 16-Jährigen vergriffen haben – wirft einen Schatten auf die Klinik, in der auch eine Babyleiche verschwand. 2007 wurde eine Charité-Schwester zu lebenslanger Haft verurteilt. Sie tötete fünf Patienten.
Berlin.
Vor einigen Wochen eine Prügelei im Chefarztzimmer und ein Rätselraten um eine verschwundene Babyleiche. 2010 ein Toter im Heizungskeller. Eine Krankenschwester, die fünf Menschen tötete und dafür 2007 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Und das alles an einem Tatort, den seit fast drei Jahrhunderten ein anrührender Name ziert: „Barmherzigkeit“ lautet er – aus dem Französischen übersetzt.
Wer die jüngste Häufung unvorteilhafter Schlagzeilen über Europas größte Universitätsklinik Revue passieren lässt, dem drängt sich der Gedanke auf: Das Erbarmen könnte die Berliner Charité derzeit selber ganz gut gebrauchen. Gerade hat sie mit einem Sex-Skandal um eine Minderjährige bundesweite Beachtung gefunden.
Wie am Mittwoch bekannt wurde, hatte bereits eine Woche zuvor ein Pfleger eine 16-Jährige beim Auskleiden in der Notaufnahme befummelt. Das Mädchen informierte seinen Vater, dieser den behandelnden Arzt, die Affäre nahm ihren Lauf. Der Pfleger arbeitet seit 40 Jahren für die Charité, seit 2008 in der Kinderrettungsstelle im Berliner Stadtteil Wedding. Wie sich jetzt herausstellt, soll er sich in dieser Zeit mindestens drei weiteren Jugendlichen in nicht therapeutischer Absicht genähert haben. Aufgefallen ist nie etwas.
Ein „Kommunikations-Desaster“, schimpft die Berliner CDU, „offenbar nur die Spitze des Eisbergs“. Dass eine Woche vergehen musste, bis Ermittlungen eingeleitet wurden, macht auch Kinderschützer fassungslos. „Die Informationspolitik muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden“, räumt Klinikchef Karl Max Einhäupl zerknirscht ein.
Darmkeim bei acht Frühchen
Ein Befund, der sich ohne weiteres auch auf die andere Charité-Affäre der vergangenen Wochen anwenden lässt: den Hygiene-Skandal in der Neugeborenen-Abteilung. Dort infizierten sich in der ersten Oktoberhälfte acht Frühchen mit einem Darmkeim, eines von ihnen starb. Auch hier dauerte es, bis überhaupt jemandem etwas auffiel.
Als sich endlich die Staatsanwaltschaft einschaltete und das tote Baby zur Obduktion anforderte, war die Verblüffung groß: „Die Leiche ist nicht da“, so ein konsternierter Justizsprecher. Wie sich herausstellte, war das Kind längst beerdigt, weil an der Charité niemand eine klärungsbedürftige Todesursache vermutet hatte.
Überfordertes und unterbezahltes Personal
Und als etwa um dieselbe Zeit zwei rabiate Besucher den Chefarzt der Gynäkologie in seinem Büro mit Stöcken und Fußtritten übel zurichteten, da glaubten im ersten Schrecken manche an einen Zusammenhang mit dem Schicksal der infizierten Frühchen. Es waren aber erboste Angehörige, die meinten, bei dem Professor Behandlungsfehler ahnden zu müssen. Der Arzt trug Knochenbrüche und Platzwunden davon.
Marode Bausubstanz, überfordertes und unterbezahltes Personal, das sind oft die Ursachen, wenn Berlins ältestes und ehrwürdigstes Krankenhaus die lokale Boulevardpresse mit schauerlichen oder pittoresken Neuigkeiten beliefert. Vor einigen Jahren kam es in einem Elektronikraum des zu DDR-Zeiten errichteten Betten-Hochhauses zu einer Explosion – nachdem es durch das Dach hereingeregnet hatte. In etlichen Stockwerken fiel der Strom aus. Und wie konnte es geschehen, dass vor einigen Jahren ein Rollstuhlfahrer drei Tage im Aufzug stecken blieb, bevor das jemandem auffiel? Und wie gelang es einer Krankenschwester der Charité in der Kardiologie in den Jahren 2005 und 2006 fünf Patienten zu ermorden? Aus Barmherzigkeit, hat die Frau vor Gericht beteuert.