Beim Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch sind mehr als 150 Menschen ums Leben gekommen, mehr als 1000 wurden verletzt. Mit bloßen Händen buddeln Menschen im Schutt, um Überlebende zu finden. Niemand weiß, wie viele Opfer noch unter den Gebäuderesten begraben sind.
Dakar.
Der Schreck stand dem staubbedeckten Textilarbeiter noch im Gesicht geschrieben, als er einem Fernsehsender in Bangladesch die Sekunden beschrieb, in denen er fast jede Hoffnung verlor. „Wir haben gearbeitet, wie es angeordnet wurde“, sagte er. „Plötzlich gab es ein lautes Geräusch und alles fiel zusammen.“
Mit zwei Kollegen grub er sich aus dem Schutt des achtstöckigen Gebäudes „Rana Plaza“ im Stadtviertel Savar von Dhaka. „Aus meiner Abteilung werden noch 30 Leute vermisst“, sagte er. Die Aussage lässt das Schlimmste befürchten. Mehr als 150 Tote und 1000 Verletzte wurden bisher gezählt. Die Zahl der Vermissten ist unbekannt. Laut der Zeitung „Daily Star“ könnten noch 1600 Menschen unter den Betonmassen liegen könnten.
Bis zum Mittwochabend wiederholte sich im Savar-Stadtteil das Bild, das man von katastrophalen Fabrikbränden in Bangladesch kennt. Wie einst im 19. und 20. Jahrhundert in europäischen Bergbaugebieten wie dem Ruhrgebiet versammelten sich nach dem Einsturz des Hochhauses in Minutenschnelle Tausende von verzweifelten Verwandten und Freunden der Arbeiter, die im Rana Plaza arbeiteten.
Mit bloßen Händen buddelten sie im Schutt, in der Hoffnung, Überlebende zu finden. Die Verwandten der Arbeiter wissen, dass jede Sekunde zählt. Doch niemand weiß, wie viele Opfer noch unter den Gebäuderesten begraben sind, deren tonnenschwere Etagenböden sich – wie nach einem Erdbeben – wie riesige Betonpfannkuchen aufeinander gestapelt haben.
6000 Menschen arbeiten in dem Gebäude
Normalerweise arbeiten in dem Gebäude, das dem Funktionär der in Bangladesch regierenden Awami Liga, Sohel Rana, gehört, 6000 Menschen. Laut einem Bericht von Bangladeschs Online-Nachrichtenportal BD 24 hatte dieser am Dienstag, als bereits tiefe Risse in dem Gebäude entdeckt wurden, erklärt, es gebe keinen Grund zur Beunruhigung. Bis Mittwochabend war aber nicht bekannt, ob alle Textilfirmen in dem Gebäude trotz der Bedenken ihre Angestellten zur Arbeit zwangen.
Neben einer Bank waren in dem achtstöckigen Gebäude vier Textilunternehmen untergebracht. Die Firma New Wave Bottom bezeichnet auf ihrer Webseite die deutsche Quelle GmbH, die mittlerweile zu Otto gehört, als einen der wichtigsten Kunden und beschreibt ausführlich die Fürsorge für ihre Arbeiter. Auf der Liste wird ein Kindergarten und eine Kantine aufgeführt. Außerdem gebe es monatlich eine Brandübung. An die Gefahr der Baufälligkeit hat das Management offenbar ebenso wenig gedacht wie die Firma Phantom Tac, die laut Firmenwebseite einen Jahresumsatz von acht Millionen US-Dollar macht und zu 50 Prozent einer Firma namens Textile Audit Company in Spanien gehört.
Im letzten November verbrannten 112 Menschen
Bangladesch ist mit jährlichen Textilexporten von rund 20 Milliarden US-Dollar inzwischen zur Nummer 2 der Bekleidungs-Produzenten hinter China aufgestiegen. Mit seinen Billiglöhnen von maximal 50 bis 60 US-Dollar monatlich hat das südasiatische Land, das als eines der ärmsten der Welt gilt, selbst Billig-Konkurrenten wie Kambodscha und Vietnam aus dem Feld geschlagen.
Doch das südasiatische Land ist nicht nur wegen seiner Minimallöhne, die Niedrigstpreise für westliche Kunden ermöglichen, ins Gerede geraten. Erst im November vergangenen Jahres verbrannten mindestens 112 Menschen von Tazreen Textiles in ihrer Fabrik, weil es dort keine Notausgänge gab.
Im Jahr 2005 stürzte bereits eine andere Textilfabrik in Dhaka ein. 70 Menschen bezahlten dies mit ihrem Leben. 2010 kamen bei einem Kollaps eines anderen Gebäudes, das einem Regierungsbeamten gehörte, 14 Menschen zu Tode.